Rennrad-Tour in Ostfriesland: Friesisch sportlich

Ostfriesland: Bensersiel – Esens – Blomberg – Eversmeer – Rechtupsweg – Marienhafe – Wirdum – Greetsiel – Norddeich – Dornumersiel – Bensersiel (122 km, Ø 26 km/h, als GPX herunterladen)

In den Bergen ist es schön, keine Frage. An Seen und Flüssen sowieso. Manchmal habe ich auch große Lust auf urbane Abenteuer direkt vor der Haustür. Und doch ist es besonders die schier endlose Weite des Meeres, die mich immer wieder einfängt und nicht loslässt. Und so zieht es mich auf der Suche nach der kleinen großen Freiheit auch dieses Jahr wieder nach Ostfriesland, wo ich meinen eigenen Spuren folgen will: Im letzten Jahr hatte ich dort eine überaus eindrückliche Tour auf dem Rennrad erlebt.

Neben einer Landstraße verläuft ein neu gebauter, ebener Radweg.
Frisch asphaltierter Radweg bei Esens: Des Rennradlers wahrer Himmel!

Zumindest bezüglich der Streckenlänge plane ich, im Vergleich zum Vorjahr noch eine Schippe draufzulegen. Ob ich wohl 140 Kilometer schaffe? Die Route ist schnell zusammengeklickt, dieses Jahr der Windprognosen wegen aber im Uhrzeigersinn. Damit meine Fahrt wieder an der Küstenlinie endet, lege ich mit Bensersiel den nordöstlichen Zipfel der Runde als Start- und Zielpunkt fest.

Die Anreise verläuft, im Gegensatz zum Vorjahr, sehr unspektakulär. Voller Vorfreude auf den Tag stelle ich das Auto in Bensersiel ab – und schaue gleich erst einmal dumm aus der Wäsche, denn der Parkscheinautomat will Kleingeld oder eine bestimmte Art von Geldkarte. Habe ich beides nicht dabei, und meinen Fuffi kann ich ihm mangels Schein-Slots nicht verfüttern. Na toll, also gleich mal Zeit verplempern, um irgendwo Kleingeld einzutauschen? Ich quatsche zwei junge Frauen an, die gerade längslaufen. Münzgeld haben sie auch nicht dabei, ziehen mir mit ihrer Geldkarte aber ohne mit der Wimper zu zucken einen Parkschein, lehnen jedwede Rückzahlung entschieden ab (”das möchten wir dir schenken”) und wünschen mir einen schönen Tag auf dem Rad. Na gut, den werde ich haben, allerbesten Dank! :)

Eine gut erhaltene alte Windmühle auf dem flachen Land, daneben eine große Birke
Kurze Trinkpause an der Tjaden-Mühle in Südcoldinne

Ich starte in südlicher Richtung und durchquere das schnuckelige Städtchen Esens. Etwa bei Dunum biege ich dann nach Westen ab, mein nächstes Ziel soll Eversmeer sein. Weil der Renner herrlich flott rollt und ich mehr Lust auf Sport als auf Tourismus habe, beschließe ich, das Kucken und Staunen heute mal zurückzustellen und stattdessen einfach richtig Kette zu geben.
So lasse ich dann auch das Ewige Meer ohne Zwischenstopp links liegen (war ja schließlich letztes Jahr schon dort) und bin ab da auch auf bekannten Pfaden unterwegs, diesmal halt in die Gegenrichtung. Und quasi traditionell beschaffe ich mir auch dieses Jahr mein Frühstück wieder in Marienhafe, selbstverständlich belegte Brötchen. Die will ich aber nicht sofort essen, sondern bis zum nächsten wirklich schönen Fleckchen mitnehmen. Großen Hunger habe eh noch nicht, obwohl ich zuhause nur fix eine Schüssel Müsli veratmet habe und inzwischen schon deutlich über vierzig Kilometer gefahren bin.

Dann erreiche ich Wirdum. Von hier aus wollte ich eigentlich noch bis Pewsum fahren, um dann in Campen die Küste zu erreichen. Leider biege ich dann aber falsch ab und stelle erst viel zu spät fest, dass ich nach Süden statt nach Westen unterwegs bin. Mist, und zu allem Überfluss werden die Wege nun auch immer schmaler und rumpeliger, die sind ganz sicher nicht mehr fürs Rennrad geeignet. Das alles kostet mich einiges an Zeit und Kraft, und so beschließe ich, den eigentlich geplanten “Schlenker” über Campen wegzulassen. Direkter Weg nach Greetsiel, schließlich darf ich wegen des langen Heimwegs ja auch nicht allzu spät wieder beim Auto sein!

Ein schmal zulaufendes Hafenbecken, links und rechts sind Fischkutter festgemacht.
Hafen Greetsiel: Schön hier, aber heute habe ich nicht viel Zeit zum Genießen.

In Greetsiel komme ich dann ziemlich kaputt an. Schon siebzig Kilometer gefahren, noch nix gegessen, und irgendwie gehen mir ein wenig die Körner aus. Ich brauche dringend eine Pause! Wie schon im Vorjahr setze ich mich am Hafen auf eine Bank, beiße herzhaft ins Brötchen und hole ein wenig Luft. Aber allzu lang kann und will ich nicht rasten, und so sitze ich nach einer Viertelstunde schon wieder im Sattel. Von nun an wirds leichter dank des Rückenwinds, denke ich noch – und stelle fest, dass ich beim Umfahren der Leybucht nun doch noch einmal in nordwestlicher Richtung, also genau gegen den Wind unterwegs bin. Das wird ein echter Kampf, denn so richtig regeniert habe ich mich in Greetsiel nicht.

Ein Rennrad am Watt. Weit draußen fahren die Fahrgastschiffe zu den Ostfriesischen Inseln.
Zwangspause, weil die Beine krampfen. Bezaubernd ist die Aussicht trotzdem!

Erst östlich von Norddeich dreht sich die Küstenlinie dann so weit nach Osten, dass der Wind schön zu schieben beginnt. Allerdings fangen nun – nach inzwischen neunzig Kilometern – die Oberschenkel zu krampfen an. Ich muss kurz pausieren und denke schon ernsthaft über einen Plan B nach, setze mich dann aber doch wieder aufs Rad und fahre einfach weiter. Die letzten dreißig Kilometer will ich nun auch noch schaffen!
Und tatsächlich, mit Hilfe des Rückenwinds finde ich zurück in den Flow und jage mit konstant 35 Sachen am Deich entlang. Jetzt machts wieder Spaß! Und als ich dann schließlich Dornumersiel passiere, gibts auch moralisch nochmal die letzte Luft: Nur noch acht Kilometer bis zum Ziel!

Kaputt, aber sehr glücklich, komme ich schließlich wieder am Ausgangspunkt meiner Tour an. War das eine sportliches Brett! Natürlich ist die Tour emotional nicht mit der des Vorjahres vergleichbar, allein schon wegen der aufwühlenden Anreise damals. Es fehlte dieses Mal aber auch das Überraschungsmoment am Deich: Ich wusste einfach schon sehr genau, was mich erwartet, und wurde nicht wieder so aus den Socken gehauen von Land, Meer und der Weite.

Überhaupt war ich dieses Jahr auch mehr auf den Sport fokussiert als auf die Landschaft. Dass ich dann mich in Wirdum so vergurkt und deswegen recht ordentlich Zeit (und damit Strecke!) verplempert habe, hat den Muss-mich-Beeilen-Faktor dieser Tour nur noch erhöht. Und die ziemlich anstrengenden Teilstücke gegen den Wind sowie das körperliche Zwischentief mit den Krämpfen haben schließlich dafür gesorgt, dass ich bisweilen mehr mit mir beschäftigt war als mit meiner Umgebung.

Für diesen Kampf gegen mich selbst blieben Ostfriesland und der Nordsee leider nur die Rolle der (wenngleich bezaubernd schönen!) Kulisse. Und doch hatte ich auch diesmal wieder ein paar dieser Momente, in denen ich für einen Augenblick nur fassungslos in die Weite starrte: Was ist es doch magisch schön am Meer!

Mit dem Rennrad in Ostfriesland: Ein intensiver Tag am Meer

Ostfriesland: Campen – Pewsum – Marienhafe – Eversmeer – Westerholt – Dornum – Neßmersiel – Norddeich – Greetsiel – Campen (125 km, Ø 26,6km/h, als GPX herunterladen)

“Aufs Rennrad”, rufen die Beine ungeduldig.
“Meinetwegen gern”, nickt gütig das Wetter.
“Ans Meer!”, jubelt die Seele voller Vorfreude.

Die Anreise

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Für gute Touren muss man früh raus!

Und so beginnt wieder einmal eine Fahrradtour mit einer ziemlich weiten Anfahrt in aller Herrgottsfrühe: Bereits viertel nach fünf morgens sitze ich im Auto, das Rennrad im Kofferraum. Nach Emden werden es drei Stunden Fahrt sein, ich will ja auch noch etwas vom Tag haben.

Irgendwo im Emsland gleite ich entspannt und bestens gelaunt dahin – als plötzlich eine Trümmerwolke über die Autobahn schießt. Direkt vor mir passiert ein schlimmer Unfall, der mich hart aus aller Vorfreude reißt. Ich bin zwar Erst-, aber leider nicht mehr Helfer: Für die Unfallopfer kann ich schlicht nichts mehr tun. Konzentriert und erstaunlich ruhig spule ich das restliche Programm ab: Überblick verschaffen, Notruf absetzen, Unfallstelle absichern, andere Helfer koordinieren. Aber es bleibt dabei: Helfen im eigentlichen Sinn kann ich nicht mehr.

Als sie nach anderthalb Stunden alles Nötige erledigt haben, machen mir die zahlreich angerückten Rettungskräfte freundlicherweise eine Gasse frei, und ich setze meine Fahrt gen Norden fort. Hinter mir wird die Autobahn noch bis weit in den Tag hinein voll gesperrt bleiben. Ich überlege kurz, ob ich einfach umkehren und nachhause fahren soll, aber das würde (neben der enttäuschten Vorfreude!) nichts besser machen. Lieber will ich versuchen, einen positiven Konter zu setzen.

Die Tour

Immer noch etwas nachdenklich stelle ich das Auto am Leuchtturm in Campen ab. Das auf der Anfahrt Erlebte lasse ich ganz bewusst beim Auto, nun will ich meine Radtour genießen. Mein Plan ist recht simpel: Im Binnenland nach Osten, auf Höhe Esens nach Norden abbiegen, in Bensersiel das Meer erreichen, und dann entlang der Küstenlinie westwärts zurück zum Ausgangspunkt. Da es durch meine Verspätung inzwischen aber schon zehn Uhr ist, beschließe ich, diese Runde etwas zu verkürzen: Der Tag wird lang werden, und abends muss ich ja auch wieder drei Stunden mit dem Auto nachhause fahren.

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Ostfriesland in a nutshell: Viele Kühe, viele Windräder.

Schicke kleine Gemeinden haben sie in Ostfriesland. Und doch wirkt es an manchen Stellen so, als hätte man die Häuser vor langer Zeit einmal für die Touristen aufgehübscht und seitdem nicht mehr viel daran getan. An anderen Stellen trifft sich friesische Tradition mit moderner Architektur, und so entfaltet sich ein abwechslungsreiches Potpourri für die Augen. Die Beine wiederum erfreuen sich an den meist sehr ordentlichen Radwegen und Straßen, auf denen man kilometerweit ohne Unterbrechung einfach nur fahren kann. Das ist eine wahre Wonne! Kein Vergleich zum engen Ruhrpott, wo man alle Nase lang von Ampeln, Drängelgittern und anderem Ungemach zum Anhalten gezwungen wird.

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Frischer Radweg bei Wirdum: So eben, dass es eine Wonne ist.

Meine erste Pause mache ich nach etwas mehr als 40 Kilometern am Ewigen Meer, einem Hochmoor-See bei Eversmeer. Es ist inzwischen zwölf, und ich verputze als spätes Frühstück meine unterwegs gekauften belegten Brötchen (inzwischen so etwas wie eine Tradition auf meinen Radtouren). Die Beine melden volle Einsatzbereitschaft, auch der Hintern macht keine Mucken. Ich fühle mich gut!
Kurz auf die Karte geschaut: Ja, demnächst müsste ich nach Norden abbiegen, um den grob gesteckten Zeitplan halbwegs einzuhalten. Und so fahre ich nordwärts über Westerholt nach Dornum, auf dieser Strecke ist der vom Meer hereinwehende Wind natürlich recht anstrengend. Aber er soll auf Nordost drehen, ich muss also nur noch die Küste erreichen und werde dann den Rest der Tour Rückenwind genießen können.

Zwischem Neßmersiel und Dornumersiel, nach 65 Kilometern sportlicher Fahrt, erreiche ich die Küstenlinie. Beim nächsten Deichaufgang will ich endlich das Meer begrüßen, schiebe mein Rad auf die Deichkrone hinauf – und bin hin und weg. Urplötzlich riecht es intensiv nach Meer, der Blick wird weit (weiter, als er auf dem flachen Land eh schon war), und fast zum Greifen nahe spannen sich Norderney, Baltrum und Langeoog über den Horizont. Für diesen Anblick, für diesen einen Moment bin ich heute morgen aufgestanden! Fast schon andächtig setze ich mich und lasse mir einige Zeit einfach nur die Meeresbrise um die Nase wehen. Spätestens jetzt habe ich meinen Frieden mit diesem so unglückselig begonnenen Tag wiedergefunden, für einen Wimpernschlag ist die Welt vollkommen im Gleichgewicht.

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Und dann auf einmal: Das Meer.

Aber bei aller Schwärmerei für den Moment: Ich bin ja für den Sport hier, also schwinge ich mich wieder aufs Rad und fahre, ziemlich konstant 30 auf dem Tacho, weiter in Richtung Westen. Wind von hinten, keine Ampeln, keine Kreuzungen, außer immer mal wieder ein paar Radfahrern kein Verkehr, auf ich achten müsste: Ich genieße einen regelrechten “Flow” auf dem Rad.

In Norddeich nehme ich dann etwas Gas raus und radele entspannt zum Fährterminal. Hier starten die Schiffe nach Juist und Norderney, entsprechend viele Menschen sind unterwegs. Direkt am Wasser liegt auch der Bahnhof Norddeich Mole, an dem heute wegen des Lokführer-Streiks aber keine Züge ankommen. Ich hake diesen Punkt auf meiner gedanklichen Liste “was ich auf der Tour sehen will” ab und setze meinen kleinen Temporausch auf zwei Rädern fort.

Als nächstes freue ich mich auf das Sperrwerk Leysiel, das vor Greetsiel wie eine Nase in die Nordsee ragt. Laut Karte führt ein Weg außen auf dieser Nase entlang, das möchte ich mir natürlich gern ansehen. Ein wenig enttäuscht bin ich dann, als vor Ort ebenjener Weg sehr nachdrücklich gesperrt ist – tja, dann eben nicht, fahre ich stattdessen halt mitten durch Greetsiel. Das entpuppt sich aber als recht glückliche Fügung: Auch hier sind mir zwar deutlich zu viele Menschen unterwegs, aber ich kann dennoch den charmanten Flair des friesischen Städtchens genießen. Mit Fritten und einem Matjesbrötchen mache ich am Hafen eine ausgiebige (und ziemlich verspätete) Mittagspause. Ich fühle mich pudelwohl, die Beine haben noch kräftig Körner, und trotz inzwischen 105 gefahrener Kilometer geht es meinem Hintern blendend.

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Greetsiel, ein echtes Kleinod.
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Rückenwind ist Radlers Liebling!

Nach Greetsiel schwenkt die Route noch weiter in südliche Richtung, was den Rückenwind (und damit die Freude am schnellen Radfahren) nur noch verstärkt. Ich gönne mir unterwegs noch den Spaß, einmal den (vor allem durch die Otto-Filme berühmt gewordenen) rot-gelben Pilsumer Leuchtturm aus der Nähe zu betrachten. In dem kann man sogar heiraten!

Die letzten fünfzehn Kilometer bis zu meinem Startpunkt Campen sind dann nur noch allerfeinster Sport. Die Körner in den Beinen haben immer noch kein Ende, lockerflockig halte ich den Tacho konstant über 40 und rausche an allem vorbei, was ebenfalls auf zwei Rädern unterwegs ist. Was, ist das dort hinten wirklich schon der Campener Leuchtturm? Ach schade, das hätte auch gern noch ein, zwei Stündchen so weiter gehen können!

Die Zusammenfassung

All good things come to an end, heißt es so schön, und so muss auch diese in allen Belangen großartige Runde nun wieder enden. Immer noch euphorisch lade ich mein Rad ins Auto, esse und trinke noch eine Kleinigkeit und lasse diesen außergewöhnlichen und äußerst intensiven Tag noch einmal gedanklich an mir vorüberziehen. Die Entscheidung, nach dem schlimmen Erlebnis auf der Anfahrt nicht umzukehren, war absolut richtig. Ich hatte mir nichts vorzuwerfen, hatte getan, was ich konnte, und je länger ich danach auf dem Rad saß, desto klarer wurde mir das. Jeder geradelte Kilometer schuf mehr gesunden Abstand zwischen mir und der Katastrophe, die ich zuvor erlebt hatte.

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Ostfriesland in a nutshell: Um das Watt kümmern sich die Gezeiten, um den Deich die Schafe.

Was das reine Fahrradfahren angeht, hat der Tag nur Bestnoten verdient. Vermutlich war das schlicht die schönste Tour, die ich je gefahren bin. Das flache, weite Land ist wie geschaffen für Ausdauersport auf dem Rennrad, die Fahrtrichtung hatte ich anhand der Windprognosen geschickt gewählt, das Wetter spielte einen perfekte Mix aus Sonne und Wolken ab, und die Straßen und Wege auf meiner Route sind bis auf wenige Ausnahmen allerbestens auch fürs knüppelharte Rennrad geeignet.

Danke, Ostfriesland – das hat mir richtig gut getan!

Friesland reloaded: Sportliches Brett rund ums Wangerland

Friesland: Neuharlingersiel - Werdum - Middoge - Westrum - Sillenstede - Fedderwarden - Wilhelmshaven - Hooksiel - Schillig - Harlesiel - Neuharlingersiel (101,6km, Ø 23,3km/h; als GPX herunterladen)

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In Friesland sacht man moin!

Ein weit geöffnetes Zeitfenster vor einem Termin an der Nordsee schrie geradezu nach einer Variante meiner Friesland-Tour zum Vatertag. Also nahm ich erneut das Fahrrad mit in den Norden und startete morgens in Neuharlingersiel. Im Gegensatz zur Vorwoche war ich dieses Mal allerdings allein unterwegs.
Der Wetterbericht hatte für den Nachmittag die Ankunft einer dicken Regenfront angekündigt, die wollte ich gern vermeiden. Also plante ich die Tour sportlich - für die 100-Kilometer-Runde, die mich im Binnenland ostwärts bis zum Jadebusen und von dort an der Küste wieder zurückbringen sollte, plante ich brutto fünf Stunden ein. Ziemlich auf Kante genäht, also volles Tempo von Beginn an! Und bloß keine Zeit vertrödeln - meine erste Pause wollte ich erst am Jadebusen machen.
Diese Planung bereute ich auf dem Weg südostwärts ein wenig, war ich doch schon seit fünf Uhr wach (Anfahrt zur Nordsee mit dem Auto!) und hatte außer einem Croissant von der Tanke nichts gefrühstückt (bloß keine Zeit verlieren!). Teilweise schon verbissen stemmte ich mich also gegen den Ostwind und hatte - im Gegensatz zur Vatertagsrunde eine Woche zurvor - kaum ein Auge für die Schönheit der Landschaft und Dörfer. Immerhin taten die Waden ordentlich ihren Dienst - es sollte ja schließlich Sport sein und kein Sightseeing.
Nach mehr als sechzig Kilometern hatte ich dann endlich den Jadebusen erreicht und machte meine erste Pause. Das einzige schattige Plätzchen dafür fand ich unter einer der riesigen Löschbrücken der ehemaligen Raffinerie Wilhelmshaven, wo ich meinen Beinen eine Viertelstunde Ruhe und meinem Bauch diverse belegte Brötchen gönnte.

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Hafen Horumersiel: Hey, hier war ich doch schonmal ;)

Derart gestärkt und von nun an immer mit dem Wind im Rücken spurte ich ziemlich flott an der Küstenlinie entlang zurück in Richtung Neuharlingersiel. Immer noch hatte ich meinen selbstauferlegten und ziemlich knappen Zeitplan im Nacken: Halb drei Ankunft! Die immer dichter werdenden Wolken am Himmel bestätigten mich in diesen Überlegungen, und ich hetzte weiter. Nur eine kleine Pause gönnte ich mir noch, da hatte ich schon 85 Kilometer in den Beinen.
Und tatsächlich kam ich exakt halb drei wieder an meinem Ausgangspunkt Neuharlingersiel an. Es hatte bisher nicht geregnet, ich hatte meinen Zeitplan eingehalten und dabei einen sehr passablen Schnitt herausgefahren. Und endlich mal wieder ein richtig langes Brett mit mehr als hundert Kilometern!

Doof nur: Den ganzen Stress hätte ich mir eigentlich auch sparen können. Trotz aller dicken Wolken, geregnet hats dann erst in der Nacht. Aber umso besser, so konnte ich den Abend ganz entspannt draußen ausklingen lassen. Mit einem leckeren Fischbrötchen setzte ich mich auf den Deich und ließ es mir gutgehen - was für ein intensiver Tag!

Vatertag an der Nordsee - Eine Rundtour durchs Friesische

Friesland: Neuharlingersiel - Altfunnixsiel - Middoge - Hooksiel - Horumersiel - Schillig - Harlesiel - Neuharlingersiel (68,4km, Ø 20,3km/h; als GPX herunterladen)

Den Vatertag gemeinsam mit Dirk auf dem Fahrrad zu verbringen, etabliert sich langsam als angenehme Tradition. Während wir 2013 den Rheinischen Esel unter die Räder nahmen, sollte es dieses Mal ganz woanders hingehen. Die Idee: Die Räder ins Auto und irgendwo hin, wo wir noch nicht waren. Münsterland? Oder tief ins Bergische? Lieber nicht, denn quer durch die Republik zog sich auf dem Niederschlagsradar ein dickes Regenband von West nach Ost. Wie wäre es denn mit der Nordseeküste? Dort scheint bei fast zwanzig Grad die Sonne!

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Das Wattenmeer vor Neuharlingersiel; Spiekeroog am Horizont

Wir packen also Räder, Klamotten und Proviant ins Auto und düsen die A31 nordwärts. Basispunkt für unsere Radtour ist Neuharlingersiel. Da der Wind von Nordost kommt, planen wir unsere Runde gegen den Uhrzeigersinn - so haben wir auf dem Rückweg den Wind im Rücken. Das wird sich später noch als sehr kluge Entscheidung erweisen.
In Neuharlingersiel fahren wir zunächst zum Hafen und lassen uns auf der Mole den Seewind um die Nasen wehen. Das Wetter ist hervorragend, kaum ein Wolke ist zu sehen - wir starten bester Laune in südöstlicher Richtung und tauchen ein in die Weiten der Ostfriesischen Halbinsel. Als Flusstal- und Mittelgebirgsradler sind wir beeindruckt von der schieren Weite der Landschaft - und von der freundlichen Gelassenheit ihrer Bewohner, bei denen mehr als ein knappes “Moin” vermutlich schon als Zeichen für Geschwätzigkeit gilt.

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St. Martin in Tettens

Wir radeln ostwärts durch schnucklige kleine Orte mit Namen wie Altfunnixsiel und erfreuen uns am typischen Anblick der reetgedeckten Häuser. In Tettens beeindruckt uns die mehr als 800 Jahre alte St.-Martins-Kirche mit ihrem (hier üblichen) freistehenden Glockenturm.
In Wüppelser Altendeich entdecken wir dann noch eine Kuriosität, die “Kleinste Bücherei von Friesland”. Aus dieser zur Mini-Bibliothek umfunktionierten und rund um die Uhr offenen Telefonzelle kann man Bücher mitnehmen - und dabei gern auch welche da lassen. Betrieben wird die Bücherzelle vom Ehepaar, auf dessen Grundstück sie steht. Wir setzen unsere Tour schmunzelnd fort - hätten wir das vorher gewusst, hätten wir den lesefreudigen Friesen natürlich auch ein paar Bücher mitgebracht.

Schließlich erreichen wir das Ufer des Jadebusens. Nach einer ausgedehnten Rast butendieks folgen wir nun nur noch der Küstenlinie - zunächst nach Norden bis Schillig, von dort aus dann westwärts.
Mangels jeglicher Steigungen ist das Radfahren auch jetzt, nach mehr als 30 Kilometern, ein entspannter Genuss. So kann man es auf dem Fahrrad aushalten, zumal sich schon längst auch die allerletzten Wölkchen aufgelöst haben - das Wetter ist einfach perfekt. Wir lassen uns vom Seewind westwärts schieben und genießen die Blicke aufs Wattenmeer und die Ostfriesischen Inseln, allesamt Teil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer.

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Hafen Horumersiel. Aufs Bild klicken für volle Größe (1547 × 800 Pixel / 202 KB).

Schließlich erreichen wir wieder unseren Ausgangspunkt Neuharlingersiel und lassen die Eindrücke dieser wunderbaren Radtour bei Schollenfilet und kühlem Jever nachwirken. Nicht nur Landschaft und Wetter haben sich von ihrer besten Seite gezeigt, sondern auch die Infrastruktur: Fahrradfahrer sind hier im Norden offenbar tatsächlich gleichberechtigte und ernstzunehmende Verkehrsteilnehmer. Die Routen sind meist bestens asphaltiert, die Beschilderungen zahlreich und deutlich, und gesonderte benutzungspflichtige Radwege gibt es genau dort, wo sie auch wirklich sinnvoll sind. Und auf radweglosen Abschnitten nehmen Auto- (und Trecker-) Fahrer gebührend Rücksicht auf das pedalierende Volk. Da kann sich der Ruhrpott so manche Scheibe abschneiden!

Eine Wiederholung dieser Reise ist keinesfalls ausgeschlossen - ausgesprochen schön hier oben!