Böhmische Dörfer (bis zum Gehtnichtmehr)

Ostsachsen/Tschechien: Pirna – Rathen – Porschdorf – Bad Schandau – Hřensko – Jetřichovice – Česká Kamenice – Klíč – Prácheň – Markvartice – Benešov nad Ploučnicí – Děčín – Elberadweg via Schmilka und Bad Schandau nach Pirna (152 km, 2044 Hm, als GPX herunterladen)

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Nach 120 Kilometern pausiere ich lieber liegend.

Wenn man nur nicht immer so leichtfertig die große Klappe hätte! “Ich habe uns eine Tour von etwa 100 Kilometern zusammengestellt – wenn wir in Bad Schandau starten”, hatte André gesagt. “Natürlich deutlich mehr, wenn wir es von Pirna angehen.” – “Ach klar, lass direkt von Pirna aus loslegen, dann müssen wir nicht noch extra mit dem Auto fahren”, hatte ich recht unüberlegt geantwortet, “das passt schon”.
Und nun liege ich ausgepumpt und schwer atmend in Schöna neben dem Elberadweg auf dem Boden, es ist dunkel und kalt, und ich habe keine Ahnung, wie ich es nach 120 bergigen Kilometern noch bis zurück nach Pirna schaffen soll.

Aber der Reihe nach: Auf meinen innig vorgetragenen Wunsch hat André eine Tour für uns zusammengestellt. Wohin genau es geht, weiß ich nicht, aber das macht überhaupt nichts: Schon 2011 hatte er eine wunderbare Ausfahrt ins Böhmische organisiert, und ich bin voller Vorfreude, dass es wieder so eine tolle Runde wird. Jannis und Julius sind auch dabei, das können sich die Buben einfach nicht entgehen lassen. Bester Dinge starten wir in Pirna und “rollern” das Elbtal hinauf der tschechischen Grenze entgegen. Allez, auf gehts!

Um uns den großen Elbbogen um den Lilienstein herum zu sparen, biegen wir in Rathen links ab. Allerdings bekommen die Waden so direkt die ersten recht knackigen Höhenmeter serviert. Nun sind wir warm! Leider gesellt sich zur Steigung das unschöne Gefühl, dass mein Hinterrad bremst – und tatsächlich läuft es wegen lockerer Speichen unrund und touchiert die Bremsen. Also Reparaturpause im Waltersdorfer Bushäuschen!

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Oberhalb von Hřensko: Der Wald ist weg.

In Bad Schandau erreichen wir dann wieder die Elbe, der wir zwischen beeindruckenden Felsformationen bis zur deutsch-tschechischen Grenze folgen. Hier, in Hřensko, verlassen wir das Elbtal und schrauben uns hinauf zum Prebischtor (Pravčická brána), einer spektakulären natürlichen Sandsteinbrücke. Hier kam ich 2006 schon einmal mit dem Fahrrad vorbei, als ich das Fahrradferienlager “Böhmen per Bike” betreute. Allerdings mussten wir seinerzeit erst noch ein ganzes Stück laufen, um das Prebischtor überhaupt zu Gesicht zu bekommen; jetzt ist es direkt von der Straße aus zu sehen. Schuld daran sind die verheerenden Waldbrände, die im Juli und August 2022 in der Böhmischen und Sächsischen Schweiz wüteten und mehr als 1000 Hektar Wald zerstörten, auch und ganz besonders im Gebiet um Hřensko. Die Hänge sehen nun wie eine Mondlandschaft aus, es wird dutzende Jahre dauern, bis hier wieder ein richtiger Wald steht.

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Kleine Suhle bei Všemily. Ein Abenteuer mit Straßenreifen und Klickpedalen!

Nach 40 Kilometern machen wir in Vysoká Lípa eine erste Rast. Hier geht das Elb­sand­stein­gebirge ins Lausitzer Gebirge (Lužické hory) über, was man deutlich an den Basaltfelsen und den typischen Um­gebinde­häusern sieht. Zwischen Všemily und Česká Kamenice schlägt André dann eine “Abkürzung” vor, die sich allerdings leider als recht schlammiger Wald- und Feldweg über den Berg herausstellt. Vermutlich wäre die Umfahrung auf Asphalt mit unseren Straßen-Velos die bessere Wahl gewesen, aber so erleben wir zumindest noch ein knackiges kleines Bonus-Abenteuer und schöne Ausblicke auf die Landschaft.

Kurzer Stopp am Discounter in Česká Kamenice, um die Vorräte aufzustocken, dann folgen wir dem Tal der Kamenice hinauf bis nach Kytlice. Während meine Beine leise beginnen, mir den noch recht überschaubaren diesjährigen Trainingsstand vorzuwerfen, sagt André wieder diesen gefährlichen Satz: “Jetzt müssen wir nur noch die Straße hier hinaufrollern!” Und schon wird der Anstieg steil und steiler, sodass ich irgendwann schlicht absteigen und ein Stück schieben muss. Das mitreisende Jungvolk ruft fröhlich “Allez!” und karriolt erbarmungslos an mir vorbei. Oh, diese Schmach!

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Blick auf den Jedlová; rechts der Tolštejn.

Zur Belohnung gibts dann aber noch eine nette Schussfahrt, und schon parken wir die Velos am Fuße eines markanten Kegels, der sich von weitem sichtbar deutlich aus der Landschaft erhebt: Es ist der Klíč, das eigentliche Ziel unserer Reise. Wir erklimmen ihn zu Fuß und genießen den Ausblick bei sensationeller Fernsicht. Uns zu Füßen liegen die (irgendwie sehr gleich aussehenden) Städte Nový Bor und Česká Lípa, weit hinten gehen die Tafelberge der Sächsischen Schweiz im aufziehenden Regen unter, und zur anderen Seite erkenne ich den Jedlová. Moment mal, ist das direkt daneben nicht …? – doch, es ist tatsächlich der Tolštejn, der mit seiner Burgruine über dem Städtchen Jiřetín pod Jedlovou thront. So manchen süßen Sommer verbrachte ich dereinst an diesem Wallfahrtsort meiner frühen Jugend!

Die immer näher kommende dicke Regenfront reißt mich dann aber aus meinen sentimentalen Erinnerungen. Hier oben auf dem ungeschützten Gipfel wollen wir wirklich nicht sein, wenn es zu schütten anfängt! Also packen wir unseren Kram zusammen und machen uns wieder an den Abstieg – allez! Leider ist das Wetter schneller und holt uns auf halber Strecke ein, nicht nur mit Regen, sondern auch mit einem veritablen Graupelschauer. Ein Glück, dass wir noch diverse Lagen Klamotten dabei haben, denn durch den Niederschlag ist es auf einmal auch ziemlich kühl geworden.

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(Fast-) Rundum-Blick vom Klíč. Leider gut zu sehen: Der von Westen heranziehende Regen.

Es ist schon 17 Uhr, als wir wieder auf die Räder steigen. Wir sind nun schon seit sieben Stunden unterwegs und haben ja doch erst die Hälfte der Strecke hinter uns; nun gilt es also, Meter zu machen! Die auf dem Hinweg erarbeiteten 400 Absolut-Höhenmeter können wir nun wieder hinunterrasen, aber natürlich stellt uns das Mittelgebirge erbarmungslos noch so manchen Anstieg in den Weg. Während die Jugend das nicht zu stören scheint, breche ich so manches Mal deutlich ein und krauche leise fluchend hinauf. Schöner ists natürlich auf den langen Abfahrten, wo ich (von André gnädig wind­schatten­unter­stützt) locker auch mal über vierzig fahre.

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Děčín am Abend. Viel zu sehen ist schon nicht mehr.

Die Täler der Bystrá und später der Ploučnice jagen wir hinab nach Děčín. Herrje, wie bin ich nach inzwischen deutlich über 100 Kilometern platt! Aber es nützt alles nichts, wir müssen entlang der Elbe ja noch nach Deutschland zurück. Ich zwinge mich, ein paar Kekse zu essen, und schon mahnt das offenbar unkaputtbare Jungvolk zur Weiterfahrt: “Nur noch 40 Kilometer – allez!”

Der Elberadweg ist meist bestens asphaltiert und bis auf wenige Ausnahmen faktisch steigungsfrei. Obwohl meine Körner schon deutlich zur Neige gehen, kommen wir richtig gut voran. Gern nehme ich das Angebot an, mich in den Windschatten der anderen zu hängen, und starre kilometerlang nur auf das jeweils gerade vor mir fahrende Rücklicht. Es ist inzwischen schon dunkel, sodass man von all der Sandsteinpracht, die links und rechts der Elbe in den Himmel wächst, eh nichts mehr sehen kann.

Direkt neben dem Radweg verläuft oben auf dem Damm die Eisenbahnstrecke, immer wieder brausen S-Bahnen und Güterzüge an uns vorbei. Plötzlich aber überholt uns ein Zug, der so ganz anders klingt als die anderen: Es stampft und schnauft, dann rattern Personenwaggons, und ganz am Ende kreischt heiser ein monströser Dieselmotor. Ich bilde mir ein, trotz der Dunkelheit dicke Rauchwolken über der Zuglok gesehen zu haben. Und als wollte sie sich persönlich bei uns vorstellen, lässt die Dampflok im Vorbeifahren einen satten, tiefen Pfiff durchs Elbtal rollen. Ob der Lokführer meine Antwort gehört hat, muss leider bezweifelt werden :)
Wie wir später herausfinden, war das die 01 0509 der Pressnitztalbahn, die an diesem Tag mit einem Sonderzug und 232 690 als Schublok das Erzgebirge umrundete.

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Kurz nach Děčín: ‘Nicht mehr weit, aaallez!’

Bei aller schönen Eisenbahn-Romantik: Meine Kraft ist aufgebraucht. Dass die Beine nach inzwischen 130 Kilometern schwer sind, Nacken und Arme weh tun und ich natürlich auch den Hintern recht deutlich merke, kenne ich von anderen Touren. Dieses Mal kommt aber eine bleierne Müdigkeit dazu, die ich so auf dem Rad noch nicht erlebt habe. Ich bin schlicht und einfach … tiefenentladen. (Ganz im Gegensatz zu Jannis und Julius, die laut darüber nachdenken, ob sie es wohl bis Mitternacht noch bis nach Radebeul schaffen könnten. Nur der Fuchs weiß, woher diese Burschen ihre schier unerschöpflichen Körner nehmen!)

Den verlockenden Gedanken, für die letzten Kilometer einfach in die nächste S-Bahn zu steigen, verdränge ich, bis endlich die Pirnaer Elbbrücke im Sichtfeld erscheint. Allez, wir sind am Ziel! Nach zwölf langen Stunden stelle ich das Fahrrad ab und verschlinge zwei große Portionen dampfend-leckere Nudeln, die vollkommen unerwartet aus dem Nichts vor meinem Gesicht auftauchen. Nach einer heißen Dusche ist dann aber wirklich Schluss: Ich falle ins Bett und schlafe umgehend wie ein Stein.

Ein paar Tage werde ich brauchen, um die Eindrücke dieser großartigen Runde einzusortieren. Sportlich war das natürlich ganz großes Kino: 150 Kilometer Strecke mit satten 2000 Höhenmetern fährt man nicht jeden Tag! Das Wetter hat (von einigen durchziehenden Schauern abgesehen) ziemlich ordentlich mitgespielt, und auch landschaftlich war der Tag ein echter Genuss. Wir hatten viel Zeit zu schwatzen und herumzublödeln, und ganz nebenbei traf mich ganz unerwartet ein wunderbarer Flashback aus längst vergangenen Zeiten.

Da hat sich meine große Klappe am Ende doch noch ausgezahlt – tausend Dank an die Buben für diese umwerfende Tour!

Die Ha(a)rd: Ereignisreiches Rennrad-Abenteuer im Westmünsterland

Recklinghausen-Speckhorn – Oer-Erkenschwick – Lüdinghausen – Senden – Dülmen – Haltern am See – Marl-Sinsen – RE-Speckhorn (98 km, Ø 23 km/h, als GPX herunterladen)

Zwei sportlich gekleidete Fahrradfahrer fahren eine Landstraße entlang
Ein Paradies auf Renner und Gravelbike: Landstraßen, wohin das Auge sieht

Eine Woche nach meinem Solo-Brett in Friesland steht direkt die nächste große Runde an: Mein Freund Dirk lädt ein zu einer pittoresken Rennrad-Runde ins Westmünsterland. Angesagt ist Gran-Fondo-Distanz, dreistellig darf es also gern werden!

Gemeinsam mit zwei weiteren Radlern starten wir in Recklinghausen und jagen am Rande der Haard, einer dicht bewaldeten Hügellandschaft nördlich des Ruhrgebiets, zunächst in Richtung Oer-Erkenschwick. Meine drei Mitfahrer sind auf Gravel-Bikes unterwegs, versprechen aber, aus Rücksicht auf meine deutlich schmaleren Rennrad-Reifen auf Wald- und Schotterwege zu verzichten – unsere Route soll ein reines Asphalt-Brett werden.

Wir überqueren den Weser-Datteln-Kanal an der Schleuse Ahsen und folgen dem Kanal noch ein kurzes Stück. Nach kurzer Zeit der nächste Kanal, die Alte Fahrt; das ist die ehemalige Trasse des Dortmund-Ems-Kanals, die hier nach Olfen hinein führt. Ganz am Ende sieht man den Turm der Olfener Pfarrkirche St. Vitus, das ist mit der “großen” Kamera sicher auch ein wirklich schönes Fotomotiv. “Pittoresk” im Wortsinn!

Zwei sportlich gekleidete Fahrradfahrer befahren eine Brücke
Ein immer wiederkehrendes Thema dieser Tour: Kanäle und ihre Brücken

Nun queren wir auch den eigentlichen Dortmund-Ems-Kanal und erreichen über nicht allzu breite, gut asphaltierte und erfreulich leere Landstraßen Lüdinghausen. Es geht auf zwölf, eine gute Zeit für eine Pause! Direkt neben der Wassermühle an der Stever gönnen wir uns in der zwischenzeitlich hinter den Wolken aufgetauchten Sonne einen Cappuccino, und obwohl ich ob meines opulenten Frühstücks noch keinen großen Hunger verspüre, nasche ich vom feilgebotenen Flammkuchen. Wie das der Gaumen feiert!

Als wir uns dann bester Laune wieder auf die Räder schwingen, gurken wir auf der Suche nach der richtigen Route gleich erst einmal staunend eine Runde um die Burg Lüdinghausen, bevor wir wieder Schwung aufnehmen und die Stadt gen Norden verlassen.
Unser nächstes Highlight bildet die Wasserburg Kakesbeck, wo wir kurz zum Schauen anhalten und in ein interessantes Gespräch mit einem Ortsansässigen geraten. Er erzählt uns die Geschichte von Ritter Lambert, der im Jahr 1520 von einem Rivalen im Streit um Ländereien ein Halsband mit innenseitigen Dornen (!) angelegt bekam. Der Achtzigjährige (!!) ritt daraufhin bis Münster (!!!), um sich das Halsband vom dortigen Waffenschmied aufmeißeln zu lassen (!!!!). Mein lieber Scholli, was für eine verrückte (aber offenbar verbriefte) Story!

Ein sportlich gekleideter Radfahrer durchquert mit hoher Geschwindigkeit eine Allee
Landstraßen und Alleen, davon kannst du auf schmalen Reifen ja gar nicht genug bekommen.
Ein Rennradfahrer kämpft sich einen sandigen Waldweg entlang
Mehr Gravel, als ich meinem Renner zugetraut hätte. Grenzwertig aber allemal.

Nun wollen wir aber wieder Meter machen und preschen auf feinen Landstraßen weiter nordwärts. Wieder queren wir die ehemalige und die aktuelle Trasse des Dortmund-Ems-Kanals, um dann nach Westen abzubiegen. Dülmen durchfahren wir noch auf Asphalt, nehmen aber danach den falschen Abzweig und landen auf einem Waldweg. Was den Kollegen auf den Gravel-Bikes sichtlich Spaß macht (und mich auf dem Mounti wohl auch erfreuen würde), ist auf dem Renner schon ziemlich grenzwertig: Das Vorderrad schneidet sich selbst in moderat tiefen Sand scharf ein und verkantet, auf anderen Teilstücken passe ich höllisch auf Steine und Wurzeln auf. Aber hey, ein bisschen “Gravel” steckt offenbar auch in meinem alten Renner, und so schaffen wir es auf (zumindest für meinen Alu-Gaul) abenteuerlichen Wegen schließlich auch zurück auf befestigte Straßen.

Auf Höhe der Westruper Heide gönnen wir uns noch eine kühle Leckerei am Eiswagen, der dort, faktisch mitten im Wald, offenbar eine echte Institution ist. Nun sind wir bereits auf der Haus- und Hofstrecke meiner Recklinghäuser Reisebegleiter. Allerdings gehen einigen von uns so langsam die Körner aus, also wählen wir den direkten Weg zurück zum Ausgangspunkt. Ein Gran Fondo wirds so sicher nicht mehr, aber wir sollten zumindest immer noch knapp an der Dreistelligkeit kratzen.

Ein offenbar von der Sattelstütze abgerissener Fahrradsattel
Sieht aus wie kaputt, ists (nach ein paar Handgriffen) aber zum Glück nicht.

Auf Höhe eines Pferdehofs, der gerade ein Springreit-Turnier austrägt, geschieht es dann: Die vor mir fahrende Mitradlerin möchte einem uns entgegenkommenden Reiter ausweichen, rutscht mit dem Vorderrad die fies unter Sand versteckte rechte Asphaltkante hinunter und kippt zur Seite. Wir sind nicht sonderlich schnell, aber da ich ihr direkt folge, knalle ich ihr mit meinem Vorderrad in den Rücken und mache eine (hoffentlich wenigstens spektakulär anzusehende!) Rolle vorwärts, das Rad der Klickpedalen wegen noch an den Füßen. Kurzer Check: Schulter ein bisschen aua, aber voll funktional. Auch der unglücklich Gestürzten geht es zum Glück recht gut, sie ist halt unschön auf die Hüfte geknallt. Die Wucht des Sturzes hat meine Sattelbefestigung in ihre Einzelteile zerlegt, aber das ist fix repariert. Sonst haben weder wir noch die Bikes mehr als Schrammen abbekommen. Da haben wir aber Glück gehabt, dass bei der Nummer nichts Schlimmeres passiert ist!

Noch ein wenig bedröppelt steigen wir wieder aufs Rad und analysieren auf den letzten ein, zwei Kilometern noch, wie dieser Sturz eigentlich geschehen konnte. Bei einem leckeren Stück Kuchen und einem wohlverdienten Kaltgetränk (danke!) gönne ich meiner Schulter noch eine wohltuende Erstbehandlung mit Kühlpad und Schmerzcreme (ebenfalls danke!), bevor ich mich von meinen drei Mitradlern verabschiede und auf den Heimweg mache.

Auch wenn es nicht zum angesagten Gran Fondo reichte: Sportlich, ereignisreich und landschaftlich äußerst ansehnlich (ja, tatsächlich geradezu pittoresk!) war diese Tour allemal. In der Gruppe halten meine Kräfte deutlich länger als auf meinen Solo-Ritten, wo ich chronisch zum “Überpacen” neige. Und weil ich mich diesmal überhaupt nicht um die Navigation kümmern musste, konnte ich Landschaft, Sport und Plausch aufs Angenehmste genießen. Vielen Dank für die Einladung – und bis zum nächsten Mal!

Rennrad-Tour in Ostfriesland: Friesisch sportlich

Ostfriesland: Bensersiel – Esens – Blomberg – Eversmeer – Rechtupsweg – Marienhafe – Wirdum – Greetsiel – Norddeich – Dornumersiel – Bensersiel (122 km, Ø 26 km/h, als GPX herunterladen)

In den Bergen ist es schön, keine Frage. An Seen und Flüssen sowieso. Manchmal habe ich auch große Lust auf urbane Abenteuer direkt vor der Haustür. Und doch ist es besonders die schier endlose Weite des Meeres, die mich immer wieder einfängt und nicht loslässt. Und so zieht es mich auf der Suche nach der kleinen großen Freiheit auch dieses Jahr wieder nach Ostfriesland, wo ich meinen eigenen Spuren folgen will: Im letzten Jahr hatte ich dort eine überaus eindrückliche Tour auf dem Rennrad erlebt.

Neben einer Landstraße verläuft ein neu gebauter, ebener Radweg.
Frisch asphaltierter Radweg bei Esens: Des Rennradlers wahrer Himmel!

Zumindest bezüglich der Streckenlänge plane ich, im Vergleich zum Vorjahr noch eine Schippe draufzulegen. Ob ich wohl 140 Kilometer schaffe? Die Route ist schnell zusammengeklickt, dieses Jahr der Windprognosen wegen aber im Uhrzeigersinn. Damit meine Fahrt wieder an der Küstenlinie endet, lege ich mit Bensersiel den nordöstlichen Zipfel der Runde als Start- und Zielpunkt fest.

Die Anreise verläuft, im Gegensatz zum Vorjahr, sehr unspektakulär. Voller Vorfreude auf den Tag stelle ich das Auto in Bensersiel ab – und schaue gleich erst einmal dumm aus der Wäsche, denn der Parkscheinautomat will Kleingeld oder eine bestimmte Art von Geldkarte. Habe ich beides nicht dabei, und meinen Fuffi kann ich ihm mangels Schein-Slots nicht verfüttern. Na toll, also gleich mal Zeit verplempern, um irgendwo Kleingeld einzutauschen? Ich quatsche zwei junge Frauen an, die gerade längslaufen. Münzgeld haben sie auch nicht dabei, ziehen mir mit ihrer Geldkarte aber ohne mit der Wimper zu zucken einen Parkschein, lehnen jedwede Rückzahlung entschieden ab (”das möchten wir dir schenken”) und wünschen mir einen schönen Tag auf dem Rad. Na gut, den werde ich haben, allerbesten Dank! :)

Eine gut erhaltene alte Windmühle auf dem flachen Land, daneben eine große Birke
Kurze Trinkpause an der Tjaden-Mühle in Südcoldinne

Ich starte in südlicher Richtung und durchquere das schnuckelige Städtchen Esens. Etwa bei Dunum biege ich dann nach Westen ab, mein nächstes Ziel soll Eversmeer sein. Weil der Renner herrlich flott rollt und ich mehr Lust auf Sport als auf Tourismus habe, beschließe ich, das Kucken und Staunen heute mal zurückzustellen und stattdessen einfach richtig Kette zu geben.
So lasse ich dann auch das Ewige Meer ohne Zwischenstopp links liegen (war ja schließlich letztes Jahr schon dort) und bin ab da auch auf bekannten Pfaden unterwegs, diesmal halt in die Gegenrichtung. Und quasi traditionell beschaffe ich mir auch dieses Jahr mein Frühstück wieder in Marienhafe, selbstverständlich belegte Brötchen. Die will ich aber nicht sofort essen, sondern bis zum nächsten wirklich schönen Fleckchen mitnehmen. Großen Hunger habe eh noch nicht, obwohl ich zuhause nur fix eine Schüssel Müsli veratmet habe und inzwischen schon deutlich über vierzig Kilometer gefahren bin.

Dann erreiche ich Wirdum. Von hier aus wollte ich eigentlich noch bis Pewsum fahren, um dann in Campen die Küste zu erreichen. Leider biege ich dann aber falsch ab und stelle erst viel zu spät fest, dass ich nach Süden statt nach Westen unterwegs bin. Mist, und zu allem Überfluss werden die Wege nun auch immer schmaler und rumpeliger, die sind ganz sicher nicht mehr fürs Rennrad geeignet. Das alles kostet mich einiges an Zeit und Kraft, und so beschließe ich, den eigentlich geplanten “Schlenker” über Campen wegzulassen. Direkter Weg nach Greetsiel, schließlich darf ich wegen des langen Heimwegs ja auch nicht allzu spät wieder beim Auto sein!

Ein schmal zulaufendes Hafenbecken, links und rechts sind Fischkutter festgemacht.
Hafen Greetsiel: Schön hier, aber heute habe ich nicht viel Zeit zum Genießen.

In Greetsiel komme ich dann ziemlich kaputt an. Schon siebzig Kilometer gefahren, noch nix gegessen, und irgendwie gehen mir ein wenig die Körner aus. Ich brauche dringend eine Pause! Wie schon im Vorjahr setze ich mich am Hafen auf eine Bank, beiße herzhaft ins Brötchen und hole ein wenig Luft. Aber allzu lang kann und will ich nicht rasten, und so sitze ich nach einer Viertelstunde schon wieder im Sattel. Von nun an wirds leichter dank des Rückenwinds, denke ich noch – und stelle fest, dass ich beim Umfahren der Leybucht nun doch noch einmal in nordwestlicher Richtung, also genau gegen den Wind unterwegs bin. Das wird ein echter Kampf, denn so richtig regeniert habe ich mich in Greetsiel nicht.

Ein Rennrad am Watt. Weit draußen fahren die Fahrgastschiffe zu den Ostfriesischen Inseln.
Zwangspause, weil die Beine krampfen. Bezaubernd ist die Aussicht trotzdem!

Erst östlich von Norddeich dreht sich die Küstenlinie dann so weit nach Osten, dass der Wind schön zu schieben beginnt. Allerdings fangen nun – nach inzwischen neunzig Kilometern – die Oberschenkel zu krampfen an. Ich muss kurz pausieren und denke schon ernsthaft über einen Plan B nach, setze mich dann aber doch wieder aufs Rad und fahre einfach weiter. Die letzten dreißig Kilometer will ich nun auch noch schaffen!
Und tatsächlich, mit Hilfe des Rückenwinds finde ich zurück in den Flow und jage mit konstant 35 Sachen am Deich entlang. Jetzt machts wieder Spaß! Und als ich dann schließlich Dornumersiel passiere, gibts auch moralisch nochmal die letzte Luft: Nur noch acht Kilometer bis zum Ziel!

Kaputt, aber sehr glücklich, komme ich schließlich wieder am Ausgangspunkt meiner Tour an. War das eine sportliches Brett! Natürlich ist die Tour emotional nicht mit der des Vorjahres vergleichbar, allein schon wegen der aufwühlenden Anreise damals. Es fehlte dieses Mal aber auch das Überraschungsmoment am Deich: Ich wusste einfach schon sehr genau, was mich erwartet, und wurde nicht wieder so aus den Socken gehauen von Land, Meer und der Weite.

Überhaupt war ich dieses Jahr auch mehr auf den Sport fokussiert als auf die Landschaft. Dass ich dann mich in Wirdum so vergurkt und deswegen recht ordentlich Zeit (und damit Strecke!) verplempert habe, hat den Muss-mich-Beeilen-Faktor dieser Tour nur noch erhöht. Und die ziemlich anstrengenden Teilstücke gegen den Wind sowie das körperliche Zwischentief mit den Krämpfen haben schließlich dafür gesorgt, dass ich bisweilen mehr mit mir beschäftigt war als mit meiner Umgebung.

Für diesen Kampf gegen mich selbst blieben Ostfriesland und der Nordsee leider nur die Rolle der (wenngleich bezaubernd schönen!) Kulisse. Und doch hatte ich auch diesmal wieder ein paar dieser Momente, in denen ich für einen Augenblick nur fassungslos in die Weite starrte: Was ist es doch magisch schön am Meer!

Mit dem Rennrad in Ostfriesland: Ein intensiver Tag am Meer

Ostfriesland: Campen – Pewsum – Marienhafe – Eversmeer – Westerholt – Dornum – Neßmersiel – Norddeich – Greetsiel – Campen (125 km, Ø 26,6km/h, als GPX herunterladen)

“Aufs Rennrad”, rufen die Beine ungeduldig.
“Meinetwegen gern”, nickt gütig das Wetter.
“Ans Meer!”, jubelt die Seele voller Vorfreude.

Die Anreise

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Für gute Touren muss man früh raus!

Und so beginnt wieder einmal eine Fahrradtour mit einer ziemlich weiten Anfahrt in aller Herrgottsfrühe: Bereits viertel nach fünf morgens sitze ich im Auto, das Rennrad im Kofferraum. Nach Emden werden es drei Stunden Fahrt sein, ich will ja auch noch etwas vom Tag haben.

Irgendwo im Emsland gleite ich entspannt und bestens gelaunt dahin – als plötzlich eine Trümmerwolke über die Autobahn schießt. Direkt vor mir passiert ein schlimmer Unfall, der mich hart aus aller Vorfreude reißt. Ich bin zwar Erst-, aber leider nicht mehr Helfer: Für die Unfallopfer kann ich schlicht nichts mehr tun. Konzentriert und erstaunlich ruhig spule ich das restliche Programm ab: Überblick verschaffen, Notruf absetzen, Unfallstelle absichern, andere Helfer koordinieren. Aber es bleibt dabei: Helfen im eigentlichen Sinn kann ich nicht mehr.

Als sie nach anderthalb Stunden alles Nötige erledigt haben, machen mir die zahlreich angerückten Rettungskräfte freundlicherweise eine Gasse frei, und ich setze meine Fahrt gen Norden fort. Hinter mir wird die Autobahn noch bis weit in den Tag hinein voll gesperrt bleiben. Ich überlege kurz, ob ich einfach umkehren und nachhause fahren soll, aber das würde (neben der enttäuschten Vorfreude!) nichts besser machen. Lieber will ich versuchen, einen positiven Konter zu setzen.

Die Tour

Immer noch etwas nachdenklich stelle ich das Auto am Leuchtturm in Campen ab. Das auf der Anfahrt Erlebte lasse ich ganz bewusst beim Auto, nun will ich meine Radtour genießen. Mein Plan ist recht simpel: Im Binnenland nach Osten, auf Höhe Esens nach Norden abbiegen, in Bensersiel das Meer erreichen, und dann entlang der Küstenlinie westwärts zurück zum Ausgangspunkt. Da es durch meine Verspätung inzwischen aber schon zehn Uhr ist, beschließe ich, diese Runde etwas zu verkürzen: Der Tag wird lang werden, und abends muss ich ja auch wieder drei Stunden mit dem Auto nachhause fahren.

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Ostfriesland in a nutshell: Viele Kühe, viele Windräder.

Schicke kleine Gemeinden haben sie in Ostfriesland. Und doch wirkt es an manchen Stellen so, als hätte man die Häuser vor langer Zeit einmal für die Touristen aufgehübscht und seitdem nicht mehr viel daran getan. An anderen Stellen trifft sich friesische Tradition mit moderner Architektur, und so entfaltet sich ein abwechslungsreiches Potpourri für die Augen. Die Beine wiederum erfreuen sich an den meist sehr ordentlichen Radwegen und Straßen, auf denen man kilometerweit ohne Unterbrechung einfach nur fahren kann. Das ist eine wahre Wonne! Kein Vergleich zum engen Ruhrpott, wo man alle Nase lang von Ampeln, Drängelgittern und anderem Ungemach zum Anhalten gezwungen wird.

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Frischer Radweg bei Wirdum: So eben, dass es eine Wonne ist.

Meine erste Pause mache ich nach etwas mehr als 40 Kilometern am Ewigen Meer, einem Hochmoor-See bei Eversmeer. Es ist inzwischen zwölf, und ich verputze als spätes Frühstück meine unterwegs gekauften belegten Brötchen (inzwischen so etwas wie eine Tradition auf meinen Radtouren). Die Beine melden volle Einsatzbereitschaft, auch der Hintern macht keine Mucken. Ich fühle mich gut!
Kurz auf die Karte geschaut: Ja, demnächst müsste ich nach Norden abbiegen, um den grob gesteckten Zeitplan halbwegs einzuhalten. Und so fahre ich nordwärts über Westerholt nach Dornum, auf dieser Strecke ist der vom Meer hereinwehende Wind natürlich recht anstrengend. Aber er soll auf Nordost drehen, ich muss also nur noch die Küste erreichen und werde dann den Rest der Tour Rückenwind genießen können.

Zwischem Neßmersiel und Dornumersiel, nach 65 Kilometern sportlicher Fahrt, erreiche ich die Küstenlinie. Beim nächsten Deichaufgang will ich endlich das Meer begrüßen, schiebe mein Rad auf die Deichkrone hinauf – und bin hin und weg. Urplötzlich riecht es intensiv nach Meer, der Blick wird weit (weiter, als er auf dem flachen Land eh schon war), und fast zum Greifen nahe spannen sich Norderney, Baltrum und Langeoog über den Horizont. Für diesen Anblick, für diesen einen Moment bin ich heute morgen aufgestanden! Fast schon andächtig setze ich mich und lasse mir einige Zeit einfach nur die Meeresbrise um die Nase wehen. Spätestens jetzt habe ich meinen Frieden mit diesem so unglückselig begonnenen Tag wiedergefunden, für einen Wimpernschlag ist die Welt vollkommen im Gleichgewicht.

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Und dann auf einmal: Das Meer.

Aber bei aller Schwärmerei für den Moment: Ich bin ja für den Sport hier, also schwinge ich mich wieder aufs Rad und fahre, ziemlich konstant 30 auf dem Tacho, weiter in Richtung Westen. Wind von hinten, keine Ampeln, keine Kreuzungen, außer immer mal wieder ein paar Radfahrern kein Verkehr, auf ich achten müsste: Ich genieße einen regelrechten “Flow” auf dem Rad.

In Norddeich nehme ich dann etwas Gas raus und radele entspannt zum Fährterminal. Hier starten die Schiffe nach Juist und Norderney, entsprechend viele Menschen sind unterwegs. Direkt am Wasser liegt auch der Bahnhof Norddeich Mole, an dem heute wegen des Lokführer-Streiks aber keine Züge ankommen. Ich hake diesen Punkt auf meiner gedanklichen Liste “was ich auf der Tour sehen will” ab und setze meinen kleinen Temporausch auf zwei Rädern fort.

Als nächstes freue ich mich auf das Sperrwerk Leysiel, das vor Greetsiel wie eine Nase in die Nordsee ragt. Laut Karte führt ein Weg außen auf dieser Nase entlang, das möchte ich mir natürlich gern ansehen. Ein wenig enttäuscht bin ich dann, als vor Ort ebenjener Weg sehr nachdrücklich gesperrt ist – tja, dann eben nicht, fahre ich stattdessen halt mitten durch Greetsiel. Das entpuppt sich aber als recht glückliche Fügung: Auch hier sind mir zwar deutlich zu viele Menschen unterwegs, aber ich kann dennoch den charmanten Flair des friesischen Städtchens genießen. Mit Fritten und einem Matjesbrötchen mache ich am Hafen eine ausgiebige (und ziemlich verspätete) Mittagspause. Ich fühle mich pudelwohl, die Beine haben noch kräftig Körner, und trotz inzwischen 105 gefahrener Kilometer geht es meinem Hintern blendend.

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Greetsiel, ein echtes Kleinod.
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Rückenwind ist Radlers Liebling!

Nach Greetsiel schwenkt die Route noch weiter in südliche Richtung, was den Rückenwind (und damit die Freude am schnellen Radfahren) nur noch verstärkt. Ich gönne mir unterwegs noch den Spaß, einmal den (vor allem durch die Otto-Filme berühmt gewordenen) rot-gelben Pilsumer Leuchtturm aus der Nähe zu betrachten. In dem kann man sogar heiraten!

Die letzten fünfzehn Kilometer bis zu meinem Startpunkt Campen sind dann nur noch allerfeinster Sport. Die Körner in den Beinen haben immer noch kein Ende, lockerflockig halte ich den Tacho konstant über 40 und rausche an allem vorbei, was ebenfalls auf zwei Rädern unterwegs ist. Was, ist das dort hinten wirklich schon der Campener Leuchtturm? Ach schade, das hätte auch gern noch ein, zwei Stündchen so weiter gehen können!

Die Zusammenfassung

All good things come to an end, heißt es so schön, und so muss auch diese in allen Belangen großartige Runde nun wieder enden. Immer noch euphorisch lade ich mein Rad ins Auto, esse und trinke noch eine Kleinigkeit und lasse diesen außergewöhnlichen und äußerst intensiven Tag noch einmal gedanklich an mir vorüberziehen. Die Entscheidung, nach dem schlimmen Erlebnis auf der Anfahrt nicht umzukehren, war absolut richtig. Ich hatte mir nichts vorzuwerfen, hatte getan, was ich konnte, und je länger ich danach auf dem Rad saß, desto klarer wurde mir das. Jeder geradelte Kilometer schuf mehr gesunden Abstand zwischen mir und der Katastrophe, die ich zuvor erlebt hatte.

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Ostfriesland in a nutshell: Um das Watt kümmern sich die Gezeiten, um den Deich die Schafe.

Was das reine Fahrradfahren angeht, hat der Tag nur Bestnoten verdient. Vermutlich war das schlicht die schönste Tour, die ich je gefahren bin. Das flache, weite Land ist wie geschaffen für Ausdauersport auf dem Rennrad, die Fahrtrichtung hatte ich anhand der Windprognosen geschickt gewählt, das Wetter spielte einen perfekte Mix aus Sonne und Wolken ab, und die Straßen und Wege auf meiner Route sind bis auf wenige Ausnahmen allerbestens auch fürs knüppelharte Rennrad geeignet.

Danke, Ostfriesland – das hat mir richtig gut getan!

Links des Rheins mach ich heut meins: Rheinradweg von Koblenz nach Bonn

Rheinradweg: Koblenz – Andernach – Linz am Rhein – Remagen – Bonn (78 km, als GPX herunterladen)

Am Ende meiner Tour auf Etappe 13 des Rheinradwegs zwischen Bonn und Düsseldorf stand für mich bereits fest: Das war zweifellos schön, aber landschaftlich noch reizvoller muss es weiter südlich, auf Etappe 12, sein! Die führt von Koblenz nach Bonn, und genau diese Strecke ist mein Plan für den heutigen Tag. Der beginnt – wie bereits im Juli – unangenehm früh, aber die Anreise mit dem Zug dauert nun einmal fast drei Stunden. Die Sommerferien-Aktion des Landes NRW und seiner Verkehrsverbünde gilt noch, also zahle ich für die Strecke bis Bad Godesberg exakt nichts. Danach geht die Reise weiter nach Rheinland-Pfalz hinein, aber auch der Preis für dieses letzte Stück ist überschaubar. Wäre ich eine Stunde später unterwegs gewesen, hätte ich mir sogar noch das Fahrrad-Ticket sparen können, denn ich lerne: In Rheinland-Pfalz ist die Fahrradmitnahme im ÖPNV ab neun Uhr grundsätzlich kostenlos.

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Ist die Anreise weit, beginnt der Tag früh.

Große Freude bereitet mir auch der Zug, in dem ich reise: Der Regionalexpress 5 ist Teil des nordrhein-westfälischen Eisenbahn-Infrastrukturprojekts “Rhein-Ruhr-Express” (RRX), zum Einsatz kommen schicke und moderne Fahrzeuge vom Typ Desiro HC. Steckdosen an den Plätzen, kostenloses WLAN, Fahrradabteile, ebenerdiger Einstieg – das ist ein sehr angenehmes Zugfahren!

Ich lasse entspannt die Landschaft an mir vorbeiziehen, schmunzele bei Köln über den ICE mit Corona-Maske und erschrecke bei Sinzig über die katastrophale Urgewalt, mit der die Ahr hier kürzlich dem Rhein entgegengestürzt sein muss. Dabei sehe ich das liegengebliebene Geröll nur für einen kurzen Moment, der Zug ist hier ziemlich schnell unterwegs; aber im Laufe meines “Rückwegs” auf dem Fahrrad soll dieser Abschnitt noch einmal eine Rolle spielen.

Schließlich steige ich in Koblenz aus dem Zug und mache mich auf den direkten Weg hinab zum Rhein. Noch ein schneller Zwischenhalt beim Bäcker, und schon sitze ich mit frisch belegten Brötchen und einem dampfenden Kaffee am Rheinufer. Kaum Menschen unterwegs, die ersten landschaftlichen Eindrücke schon vor Augen, einen großartigen Tag vor mir: Ein solch herrliches Frühstück habe ich bereits auf meiner Tour im Juli genießen dürfen.

Irgendwann will ich dann aber auch los, also schwinge ich mich aufs Rad und beginne meine Reise. Die erste Station ist natürlich das Deutsche Eck, wo unterhalb der wuchtigen Festung Ehrenbreitstein die Mosel in den Rhein mündet. Hier, am ebenfalls ziemlich wuchtigen Kaiser-Wilhelm-Denkmal, sind kurz nach neun Uhr morgens nur vereinzelt Touristen unterwegs, und so kann ich die Szenerie in Ruhe auf mich wirken lassen. Dann steige ich wieder aufs Rad und beginne meine Tour “so richtig”.

Im Vergleich zur Juli-Tour verläuft der Radweg “Eurovelo 8” in diesem Abschnitt deutlich mehr direkt am Rheinufer. Dass man über lange Strecken den Fluss nicht zu sehen bekommt (und stattdessen z.B. durch Industriegebiete geleitet wird), hatte mich auf dem Abschnitt zwischen Bonn und Düsseldorf schon ein bisschen geärgert.

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Ziemlich viel Wasser im Rhein

Kurz nach Andernach, ganz in der Nähe der Burg Namedy, komme ich mit einem älteren Paar ins Gespräch, das sich als einheimisch vorstellt und mir einen wichtigen Hinweis gibt: Der linksrheinische Radweg ist im Mündungsgebiet der Ahr nicht zu befahren (wie wohl auch sämtliche Straßen dort) – offenbar hat die Ahr-Flut Mitte Juli ein komplettes Wohngebiet faktisch weggespült. Dieses Ausmaß der Zerstörung hatte ich aus dem Zugfenster nicht in Ansätzen sehen können und bin einigermaßen erschrocken. Nein, dort will ich ganz sicher nicht den zahlreich aus dem gesamten Bundesgebiet angereisten (und immer noch anreisenden!) Hilfskräften als Gaffer im Weg stehen. Ich folge also dem gut- (und ernst-!) gemeinten Rat der beiden und wechsle in Bad Breisig mit der Fähre hinüber ans andere Ufer. Dort radele ich bis Linz weiter, wo mich die dortige Fähre wieder auf meine eigentliche Route zurückbringt.

Immer wieder erfreuen mich die kleinen, an die hier noch recht steilen Hänge des Rheintals gepressten Städtchen mit ihren teilweise sehr alten Häusern, Türmen und Kirchen. Mit deutlich mehr Zeit im Gepäck lässt sich hier sicher auf den Spuren so manch spannender Geschichte und Geschichten wandeln! Auch oben auf den Hängen gibt es sicher viel zu entdecken, immer wieder sehe ich kleine Aussichtspunkte und Kapellchen hoch über dem Rhein. Ich bin leider “nur” auf der Durchreise, aber fühle mich trotzdem angenehm inspiriert, hier vielleicht auch einmal auf eine ganz andere Art Urlaub zu machen.

Es ist Mittag geworden, und ich beschließe, in Remagen eine Pause einzulegen. Doch bevor ich mich um mein leibliches Wohl kümmere, halte ich an der selbst als Ruine immer noch recht beeindruckenden ikonischen Ludendorff-Brücke, vermutlich deutlich bekannter unter dem Namen “Brücke von Remagen”. Welche dramatischen Ereignisse sich hier am Ende des Zweiten Weltkriegs abspielten, beschreibt der Wikipedia-Artikel sehr anschaulich. Noch besser wäre es natürlich, das im westlichen Brückenkopf eingerichtete Friedensmuseum zu besuchen; auch das ist ein starkes Argument für mich, den Rhein noch einmal mit deutlich mehr Zeit zu bereisen. Für heute begnüge ich mich damit, einmal auf der Brückenrampe zu stehen und den Blick über die Stadt, den Fluss und die Brückenruine schweifen zu lassen.

Die Metzgerei Faßbender in Remagen hatte die clevere Idee, unten am Radweg ein Hinweisschild aufzustellen. Das lotst mich zuverlässig in den wohlduftenden Laden, wo mir auf die Frage nach einem herzhaften Mittagsimbiss zahlreiche überaus leckere Vorschläge gemacht werden. Ich entscheide mich für eine Siedewurst mit Kartoffelsalat und lasse mir, man kann ja nie wissen, auch noch ein Steak im Brötchen einpacken. Mit diesen Leckereien rolle ich hinab zur Uferpromenade, setze mich auf eine Bank und mache eine ausgiebige und äußerst köstliche Pause. Das sind diese fast schon kontemplativen Momente, für die ich auf diese Tour aufgebrochen bin!

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Von Remagen aus sieht man bereits die Burgruine Drachenfels.

Als ich dann irgendwann satt und zufrieden wieder aufs Rad steige, stelle ich ein wenig betrübt fest, dass ich das Ziel meiner heutigen Reise ja bereits fast erreicht habe. Vor Königswinter grüßt die Burgruine Drachenfels vom anderen Rheinufer, und schon bin ich auf Bonner Stadtgebiet. Das geht mir alles zu schnell, ich bin doch brutto noch keine fünf Stunden unterwegs, denke ich. Dann schaue ich auf den Tacho, der mir einen sportlichen Schnitt von 21 km/h auf deutlich mehr als 70 Kilometer Strecke präsentiert. Tja, da habe ich mich wohl vom ständig recht ordentlich wehenden Rückenwind zu ziemlich flotter Fahrweise verführen lassen! Aber ich will nicht meckern, mein Tag war großartig: So viele neue Eindrücke, so viele interessante Anregungen, hier und da auch wirklich nette Begegnungen und Gespräche, ganz nebenbei auch richtig guter Velo-Sport – einfach eine wunderbare Tour!

Am Bonner Hauptbahnhof fährt der RE 5 gen Ruhrgebiet dann quasi exakt in dem Moment ein, in dem ich den Bahnsteig betrete. Der Zug ist zwar deutlich voller als auf der morgendlichen Hinreise, aber ich finde einen Platz für mich und mein Rad und habe dann viel Zeit, mich zu entspannen und den Tag noch einmal gedanklich Revue passieren zu lassen.

Hat mir Etappe 12 des Rheinradwegs besser gefallen als Etappe 13, die ich im Juli fuhr? Ja, in allen Belangen. Die Landschaft ist einfach deutlich interessanter, die Radroute führt quasi immer direkt am Fluss entlang, und die Städte sind einfach … schöner. In letzter Konsequenz kann das ja nur heißen, dass ich nun auch noch weiter nach Süden vorstoßen muss – wie wäre es denn als nächstes mit dem Rheinradweg-Abschnitt zwischen Mainz und Koblenz…?