Die Ha(a)rd: Ereignisreiches Rennrad-Abenteuer im Westmünsterland

Recklinghausen-Speckhorn – Oer-Erkenschwick – Lüdinghausen – Senden – Dülmen – Haltern am See – Marl-Sinsen – RE-Speckhorn (98 km, Ø 23 km/h, als GPX herunterladen)

Zwei sportlich gekleidete Fahrradfahrer fahren eine Landstraße entlang
Ein Paradies auf Renner und Gravelbike: Landstraßen, wohin das Auge sieht

Eine Woche nach meinem Solo-Brett in Friesland steht direkt die nächste große Runde an: Mein Freund Dirk lädt ein zu einer pittoresken Rennrad-Runde ins Westmünsterland. Angesagt ist Gran-Fondo-Distanz, dreistellig darf es also gern werden!

Gemeinsam mit zwei weiteren Radlern starten wir in Recklinghausen und jagen am Rande der Haard, einer dicht bewaldeten Hügellandschaft nördlich des Ruhrgebiets, zunächst in Richtung Oer-Erkenschwick. Meine drei Mitfahrer sind auf Gravel-Bikes unterwegs, versprechen aber, aus Rücksicht auf meine deutlich schmaleren Rennrad-Reifen auf Wald- und Schotterwege zu verzichten – unsere Route soll ein reines Asphalt-Brett werden.

Wir überqueren den Weser-Datteln-Kanal an der Schleuse Ahsen und folgen dem Kanal noch ein kurzes Stück. Nach kurzer Zeit der nächste Kanal, die Alte Fahrt; das ist die ehemalige Trasse des Dortmund-Ems-Kanals, die hier nach Olfen hinein führt. Ganz am Ende sieht man den Turm der Olfener Pfarrkirche St. Vitus, das ist mit der “großen” Kamera sicher auch ein wirklich schönes Fotomotiv. “Pittoresk” im Wortsinn!

Zwei sportlich gekleidete Fahrradfahrer befahren eine Brücke
Ein immer wiederkehrendes Thema dieser Tour: Kanäle und ihre Brücken

Nun queren wir auch den eigentlichen Dortmund-Ems-Kanal und erreichen über nicht allzu breite, gut asphaltierte und erfreulich leere Landstraßen Lüdinghausen. Es geht auf zwölf, eine gute Zeit für eine Pause! Direkt neben der Wassermühle an der Stever gönnen wir uns in der zwischenzeitlich hinter den Wolken aufgetauchten Sonne einen Cappuccino, und obwohl ich ob meines opulenten Frühstücks noch keinen großen Hunger verspüre, nasche ich vom feilgebotenen Flammkuchen. Wie das der Gaumen feiert!

Als wir uns dann bester Laune wieder auf die Räder schwingen, gurken wir auf der Suche nach der richtigen Route gleich erst einmal staunend eine Runde um die Burg Lüdinghausen, bevor wir wieder Schwung aufnehmen und die Stadt gen Norden verlassen.
Unser nächstes Highlight bildet die Wasserburg Kakesbeck, wo wir kurz zum Schauen anhalten und in ein interessantes Gespräch mit einem Ortsansässigen geraten. Er erzählt uns die Geschichte von Ritter Lambert, der im Jahr 1520 von einem Rivalen im Streit um Ländereien ein Halsband mit innenseitigen Dornen (!) angelegt bekam. Der Achtzigjährige (!!) ritt daraufhin bis Münster (!!!), um sich das Halsband vom dortigen Waffenschmied aufmeißeln zu lassen (!!!!). Mein lieber Scholli, was für eine verrückte (aber offenbar verbriefte) Story!

Ein sportlich gekleideter Radfahrer durchquert mit hoher Geschwindigkeit eine Allee
Landstraßen und Alleen, davon kannst du auf schmalen Reifen ja gar nicht genug bekommen.
Ein Rennradfahrer kämpft sich einen sandigen Waldweg entlang
Mehr Gravel, als ich meinem Renner zugetraut hätte. Grenzwertig aber allemal.

Nun wollen wir aber wieder Meter machen und preschen auf feinen Landstraßen weiter nordwärts. Wieder queren wir die ehemalige und die aktuelle Trasse des Dortmund-Ems-Kanals, um dann nach Westen abzubiegen. Dülmen durchfahren wir noch auf Asphalt, nehmen aber danach den falschen Abzweig und landen auf einem Waldweg. Was den Kollegen auf den Gravel-Bikes sichtlich Spaß macht (und mich auf dem Mounti wohl auch erfreuen würde), ist auf dem Renner schon ziemlich grenzwertig: Das Vorderrad schneidet sich selbst in moderat tiefen Sand scharf ein und verkantet, auf anderen Teilstücken passe ich höllisch auf Steine und Wurzeln auf. Aber hey, ein bisschen “Gravel” steckt offenbar auch in meinem alten Renner, und so schaffen wir es auf (zumindest für meinen Alu-Gaul) abenteuerlichen Wegen schließlich auch zurück auf befestigte Straßen.

Auf Höhe der Westruper Heide gönnen wir uns noch eine kühle Leckerei am Eiswagen, der dort, faktisch mitten im Wald, offenbar eine echte Institution ist. Nun sind wir bereits auf der Haus- und Hofstrecke meiner Recklinghäuser Reisebegleiter. Allerdings gehen einigen von uns so langsam die Körner aus, also wählen wir den direkten Weg zurück zum Ausgangspunkt. Ein Gran Fondo wirds so sicher nicht mehr, aber wir sollten zumindest immer noch knapp an der Dreistelligkeit kratzen.

Ein offenbar von der Sattelstütze abgerissener Fahrradsattel
Sieht aus wie kaputt, ists (nach ein paar Handgriffen) aber zum Glück nicht.

Auf Höhe eines Pferdehofs, der gerade ein Springreit-Turnier austrägt, geschieht es dann: Die vor mir fahrende Mitradlerin möchte einem uns entgegenkommenden Reiter ausweichen, rutscht mit dem Vorderrad die fies unter Sand versteckte rechte Asphaltkante hinunter und kippt zur Seite. Wir sind nicht sonderlich schnell, aber da ich ihr direkt folge, knalle ich ihr mit meinem Vorderrad in den Rücken und mache eine (hoffentlich wenigstens spektakulär anzusehende!) Rolle vorwärts, das Rad der Klickpedalen wegen noch an den Füßen. Kurzer Check: Schulter ein bisschen aua, aber voll funktional. Auch der unglücklich Gestürzten geht es zum Glück recht gut, sie ist halt unschön auf die Hüfte geknallt. Die Wucht des Sturzes hat meine Sattelbefestigung in ihre Einzelteile zerlegt, aber das ist fix repariert. Sonst haben weder wir noch die Bikes mehr als Schrammen abbekommen. Da haben wir aber Glück gehabt, dass bei der Nummer nichts Schlimmeres passiert ist!

Noch ein wenig bedröppelt steigen wir wieder aufs Rad und analysieren auf den letzten ein, zwei Kilometern noch, wie dieser Sturz eigentlich geschehen konnte. Bei einem leckeren Stück Kuchen und einem wohlverdienten Kaltgetränk (danke!) gönne ich meiner Schulter noch eine wohltuende Erstbehandlung mit Kühlpad und Schmerzcreme (ebenfalls danke!), bevor ich mich von meinen drei Mitradlern verabschiede und auf den Heimweg mache.

Auch wenn es nicht zum angesagten Gran Fondo reichte: Sportlich, ereignisreich und landschaftlich äußerst ansehnlich (ja, tatsächlich geradezu pittoresk!) war diese Tour allemal. In der Gruppe halten meine Kräfte deutlich länger als auf meinen Solo-Ritten, wo ich chronisch zum “Überpacen” neige. Und weil ich mich diesmal überhaupt nicht um die Navigation kümmern musste, konnte ich Landschaft, Sport und Plausch aufs Angenehmste genießen. Vielen Dank für die Einladung – und bis zum nächsten Mal!

Rennrad-Tour in Ostfriesland: Friesisch sportlich

Ostfriesland: Bensersiel – Esens – Blomberg – Eversmeer – Rechtupsweg – Marienhafe – Wirdum – Greetsiel – Norddeich – Dornumersiel – Bensersiel (122 km, Ø 26 km/h, als GPX herunterladen)

In den Bergen ist es schön, keine Frage. An Seen und Flüssen sowieso. Manchmal habe ich auch große Lust auf urbane Abenteuer direkt vor der Haustür. Und doch ist es besonders die schier endlose Weite des Meeres, die mich immer wieder einfängt und nicht loslässt. Und so zieht es mich auf der Suche nach der kleinen großen Freiheit auch dieses Jahr wieder nach Ostfriesland, wo ich meinen eigenen Spuren folgen will: Im letzten Jahr hatte ich dort eine überaus eindrückliche Tour auf dem Rennrad erlebt.

Neben einer Landstraße verläuft ein neu gebauter, ebener Radweg.
Frisch asphaltierter Radweg bei Esens: Des Rennradlers wahrer Himmel!

Zumindest bezüglich der Streckenlänge plane ich, im Vergleich zum Vorjahr noch eine Schippe draufzulegen. Ob ich wohl 140 Kilometer schaffe? Die Route ist schnell zusammengeklickt, dieses Jahr der Windprognosen wegen aber im Uhrzeigersinn. Damit meine Fahrt wieder an der Küstenlinie endet, lege ich mit Bensersiel den nordöstlichen Zipfel der Runde als Start- und Zielpunkt fest.

Die Anreise verläuft, im Gegensatz zum Vorjahr, sehr unspektakulär. Voller Vorfreude auf den Tag stelle ich das Auto in Bensersiel ab – und schaue gleich erst einmal dumm aus der Wäsche, denn der Parkscheinautomat will Kleingeld oder eine bestimmte Art von Geldkarte. Habe ich beides nicht dabei, und meinen Fuffi kann ich ihm mangels Schein-Slots nicht verfüttern. Na toll, also gleich mal Zeit verplempern, um irgendwo Kleingeld einzutauschen? Ich quatsche zwei junge Frauen an, die gerade längslaufen. Münzgeld haben sie auch nicht dabei, ziehen mir mit ihrer Geldkarte aber ohne mit der Wimper zu zucken einen Parkschein, lehnen jedwede Rückzahlung entschieden ab (”das möchten wir dir schenken”) und wünschen mir einen schönen Tag auf dem Rad. Na gut, den werde ich haben, allerbesten Dank! :)

Eine gut erhaltene alte Windmühle auf dem flachen Land, daneben eine große Birke
Kurze Trinkpause an der Tjaden-Mühle in Südcoldinne

Ich starte in südlicher Richtung und durchquere das schnuckelige Städtchen Esens. Etwa bei Dunum biege ich dann nach Westen ab, mein nächstes Ziel soll Eversmeer sein. Weil der Renner herrlich flott rollt und ich mehr Lust auf Sport als auf Tourismus habe, beschließe ich, das Kucken und Staunen heute mal zurückzustellen und stattdessen einfach richtig Kette zu geben.
So lasse ich dann auch das Ewige Meer ohne Zwischenstopp links liegen (war ja schließlich letztes Jahr schon dort) und bin ab da auch auf bekannten Pfaden unterwegs, diesmal halt in die Gegenrichtung. Und quasi traditionell beschaffe ich mir auch dieses Jahr mein Frühstück wieder in Marienhafe, selbstverständlich belegte Brötchen. Die will ich aber nicht sofort essen, sondern bis zum nächsten wirklich schönen Fleckchen mitnehmen. Großen Hunger habe eh noch nicht, obwohl ich zuhause nur fix eine Schüssel Müsli veratmet habe und inzwischen schon deutlich über vierzig Kilometer gefahren bin.

Dann erreiche ich Wirdum. Von hier aus wollte ich eigentlich noch bis Pewsum fahren, um dann in Campen die Küste zu erreichen. Leider biege ich dann aber falsch ab und stelle erst viel zu spät fest, dass ich nach Süden statt nach Westen unterwegs bin. Mist, und zu allem Überfluss werden die Wege nun auch immer schmaler und rumpeliger, die sind ganz sicher nicht mehr fürs Rennrad geeignet. Das alles kostet mich einiges an Zeit und Kraft, und so beschließe ich, den eigentlich geplanten “Schlenker” über Campen wegzulassen. Direkter Weg nach Greetsiel, schließlich darf ich wegen des langen Heimwegs ja auch nicht allzu spät wieder beim Auto sein!

Ein schmal zulaufendes Hafenbecken, links und rechts sind Fischkutter festgemacht.
Hafen Greetsiel: Schön hier, aber heute habe ich nicht viel Zeit zum Genießen.

In Greetsiel komme ich dann ziemlich kaputt an. Schon siebzig Kilometer gefahren, noch nix gegessen, und irgendwie gehen mir ein wenig die Körner aus. Ich brauche dringend eine Pause! Wie schon im Vorjahr setze ich mich am Hafen auf eine Bank, beiße herzhaft ins Brötchen und hole ein wenig Luft. Aber allzu lang kann und will ich nicht rasten, und so sitze ich nach einer Viertelstunde schon wieder im Sattel. Von nun an wirds leichter dank des Rückenwinds, denke ich noch – und stelle fest, dass ich beim Umfahren der Leybucht nun doch noch einmal in nordwestlicher Richtung, also genau gegen den Wind unterwegs bin. Das wird ein echter Kampf, denn so richtig regeniert habe ich mich in Greetsiel nicht.

Ein Rennrad am Watt. Weit draußen fahren die Fahrgastschiffe zu den Ostfriesischen Inseln.
Zwangspause, weil die Beine krampfen. Bezaubernd ist die Aussicht trotzdem!

Erst östlich von Norddeich dreht sich die Küstenlinie dann so weit nach Osten, dass der Wind schön zu schieben beginnt. Allerdings fangen nun – nach inzwischen neunzig Kilometern – die Oberschenkel zu krampfen an. Ich muss kurz pausieren und denke schon ernsthaft über einen Plan B nach, setze mich dann aber doch wieder aufs Rad und fahre einfach weiter. Die letzten dreißig Kilometer will ich nun auch noch schaffen!
Und tatsächlich, mit Hilfe des Rückenwinds finde ich zurück in den Flow und jage mit konstant 35 Sachen am Deich entlang. Jetzt machts wieder Spaß! Und als ich dann schließlich Dornumersiel passiere, gibts auch moralisch nochmal die letzte Luft: Nur noch acht Kilometer bis zum Ziel!

Kaputt, aber sehr glücklich, komme ich schließlich wieder am Ausgangspunkt meiner Tour an. War das eine sportliches Brett! Natürlich ist die Tour emotional nicht mit der des Vorjahres vergleichbar, allein schon wegen der aufwühlenden Anreise damals. Es fehlte dieses Mal aber auch das Überraschungsmoment am Deich: Ich wusste einfach schon sehr genau, was mich erwartet, und wurde nicht wieder so aus den Socken gehauen von Land, Meer und der Weite.

Überhaupt war ich dieses Jahr auch mehr auf den Sport fokussiert als auf die Landschaft. Dass ich dann mich in Wirdum so vergurkt und deswegen recht ordentlich Zeit (und damit Strecke!) verplempert habe, hat den Muss-mich-Beeilen-Faktor dieser Tour nur noch erhöht. Und die ziemlich anstrengenden Teilstücke gegen den Wind sowie das körperliche Zwischentief mit den Krämpfen haben schließlich dafür gesorgt, dass ich bisweilen mehr mit mir beschäftigt war als mit meiner Umgebung.

Für diesen Kampf gegen mich selbst blieben Ostfriesland und der Nordsee leider nur die Rolle der (wenngleich bezaubernd schönen!) Kulisse. Und doch hatte ich auch diesmal wieder ein paar dieser Momente, in denen ich für einen Augenblick nur fassungslos in die Weite starrte: Was ist es doch magisch schön am Meer!

Fahrradtouren im Sauerland: Alten Bahnen auf der Spur

Wiebelhausen – Fretter – Serkenrode – Kückelheim – Eslohe – Obermarpe – Obervalbert – Wiebelhausen (31 km, vMax 72,4 km/h, als GPX herunterladen)

Ein Fahrrad-Wegweiser mit verschiedenen Ortsnamen und den Entfernungen dorthin.
Die Beschilderung der Radrouten ist immer wieder eine Freude.

Zwei Tage nach meiner ersten Sauerland-Tour breche ich erneut auf, um Höhenmeter zu sammeln. Dieses Mal halte ich mich in nordöstlicher Richtung, schieße hinab nach Fretter und biege dort rechts in Richtung Eslohe ab. Nun befinde ich mich wieder auf dem Sauerland-Radring, der hier auf der Trasse der ehemaligen Eisenbahnstrecke Finnentrop-Wennemen entlangführt. Das fühlt sich so wunderbar an wie das Bahntrassenradeln wie im Ruhrpott, nur halt mit deutlich mehr Natur. Immer wieder weisen Bahn-Artefakte auf eigentlichen Zweck dieser Trasse hin, hier mal ein Andreaskreuz, dort ein altes Signal. Vor Kückelheim hat man sogar ein paar Meter Gleis liegengelassen und eine kleine alte Diesellok darauf abgestellt. Und dann wirds erst richtig spannend, es öffnet sich der Schlund des Kückelheimer Tunnels. Der ist zwischen November und April gesperrt, der Fledermäuse wegen – deshalb auch der Name “Fledermaustunnel”. Ich fahre fasziniert hinein und merke mit wohligem Schauer, wie kräftig die Temperatur auf einmal fällt: Während draußen bei schönstem Sonnenschein sicher um die dreißig Grad auf dem Thermometer stehen, dürften es in der Tunnelmitte kaum noch fünfzehn sein.

In Eslohe ist der alte Bahnhof noch gut als solcher zu erkennen, auch wenn hier natürlich schon lange kein Zug mehr fährt. Gegenüber lo(c)kt das Museum “Dampf Land Leute”, das, soweit ich das im Vorbeifahren sehen kann, auch eine kleine Feldbahn auf dem Gelände betreibt. Hier muss ich mal mit etwas mehr Zeit im Gepäck vorbeischauen!

An der schnuckligen kleinen Kapelle “St. Isidor” in Niedereslohe mache ich dann eine kleine Pause. Ich sitze im Schatten von Bäumen entspannt auf einer Bank und lausche dem vergnüglichen Plätschern des kleinen Flüssleins Salwey, das direkt neben mir der Wenne zustrebt – die dann wiederum bei Wennemen in die Ruhr mündet. Im dortigen Bahnhof trifft dann auch die alte Bahntrasse, auf der ich gerade nach Eslohe radelte, auf die Sauerland-Linie entlang der Ruhr. Der Radweg auf dieser Trasse ist der Westteil der Sauerland-Radring-Nordschleife, die mit dem eigentlichen Sauerland-Radring eine große Acht in der Landschaft bildet.

Eine hügelige Landschaft, im Vordergrund ein Maisfeld. Daneben die asphaltierte Radroute.
Bisweilen erinnert mich das Sauerland sehr ans Erzgebirge.

Nach meiner Pause wechsle ich nun vom naturnahen Bahntrasselnradeln auf den Radweg neben der teils recht wuseligen Bundesstraße 55. Ich komme schnell voran und könnte nun bis Oedingermühle durchfahren, um dann wieder in Richtung “meines” Hofes anzubiegen. Aber das wäre mir zu fad: Ich will ja das Sauerland sehen, nicht seine Bundesstraßen. Also verlasse ich schon kurz nach Isingheim das Tal des Esselbachs und schnaufe die Kehren hinaus nach Obermarpe. Mein lieber Scholli, hier gibts aber nochmal ordentlich was für die Waden zu tun! Schließlich erreiche ich im “Sturzflug” Obervalbert, nur um mich direkt wieder steil den nächsten Anstieg hinaufzukämpfen. Dann hab ichs aber auch hinter mir und lasse mich entspannt hinab zum Hof rollen, wo schon eine wunderbar kühle Fassbrause auf mich wartet.

Erstaunt, aber schmunzelnd nehme ich zur Kenntnis, wie unbeeindruckt meine Beine von dieser ziemlich hügeligen Tour zu sein scheinen. Mit dem dafür sehr ordentlichen 23er Schnitt sehr zufrieden, stelle ich mich unter die Dusche.

Fahrradtouren im Sauerland: Erkundungsfahrt zur Lenne

Wiebelhausen – Elspe – Finnentrop – Lenhausen – Schönholthausen – Ostentrop – Fretter – Wiebelhausen (36 km, als GPX herunterladen)

Eine Mittelgebirgslandschaft mit Feldern und Wäldern. Kühe auf der Weide, geschlagene Baumstämme, ein schweres Forstfahrzeug.
Sauerland in a nutshell: Kühe, Holz, große Arbeitsspielzeuge.

Auf geht’s in den Sauerland-Urlaub! Wollen doch mal sehen, ob da auch was mit dem Rad geht; meinen blauen Tourer habe ich jedenfalls dabei. Ein richtig schöner Milchbauernhof mit einigen Jahrhunderten Geschichte und reichlich familiärem Flair bildet die Basis für alle anstehenden Velo-Heldentaten. Er liegt mittendrin im Sauerland-Radring. Schon die Anreise zum Hof macht klar: Egal, aus welcher Richtung ich von einer Tour wiederkommen werde, das letzte Stück geht’s immer bergan. This is Sauerland, baby!

Mein erster Ausflug auf zwei Rädern soll mich an die Lenne führen. Deren Tal ist nicht weit, dort liegt auch Finnentrop mit seinem Bahnhof. Durch Elspe schieße ich verdammt flott dorthin hinab, das ist erstmal blanker Asphalt-Sport. Erst an der Lenne komme ich dann etwas zur Ruhe und schalte in den Tourismus-Modus. Erstmal umschauen und genießen!

Die Lenne selbst erinnert mich an die Ruhr in ihrem Oberlauf, und genau wie ebenjene fließt auch sie dem Ruhrgebiet entgegen. Und wie an der Ruhr sticht mir auch an der Lenne der teils harte Kontrast zwischen Natur und Industrie ins Auge. Das Sauerland war einst eine wahre industrielle Perle, vor allem natürlich rund ums Holz. Und auch wenn vom alten Glanz schon längst ein Gutteil abgeblättert ist, finden sich auch heute noch recht viele kleine und mittlere Betriebe, oft in den Flusstälern. Und so ist auch Finnentrop eine interessante Mischung aus verschlafener Kleinstadt, hässlichen Industriehallen, einem trotz Rückbaus immer noch ziemlich großen Bahnhofsgelände und recht idyllischem Flussufer.

Ein Fahrrad-Wegweiser mit verschiedenen Ortsnamen und den Entfernungen dorthin.
Ausgezeichnete Beschilderung der Radrouten

Ich fahre auf der Lenneroute, hier ein Teil des Sauerland-Radrings. Die Velo-Infrastruktur ist klasse: Toller Radweg, makellose Beschilderung, Rastpunkte mit hilfreichen und interessanten Infotafeln. Von denen lerne ich auch so einiges über die weiland ungleich größere Bedeutung des Bahnhofs Finnentrop für die Region und die Anbindung derselben an die weite Welt, z.B. das Ruhrgebiet via Hagen.

Der Lenneroute folge ich nur ein kleines Stück, nämlich bis Lenhausen. Dort biege ich mit dem Sauerland-Ring nach Osten in Richtung Fretter ab. Der verläuft hier auf der ehemaligen Trasse der Eisenbahnstrecke Finnentrop-Wennemen; für ein paar Extra-Höhenmeter biege ich aber noch ab und fahre “übern Berg” via Schönholthausen und Ostentrop. In Fretter kreuze ich dann wieder den Sauerland-Radring und fahre hinauf ins Basislager nach Wiebelhausen. Das ist auf den letzten ein, zwei Kilometern tatsächlich nochmal richtig knackig – aber das wusste ich ja schon seit meiner Anreise.

Die Lenneroute hat es mir wirklich angetan, sie könnte noch in diesem Jahr zu einer veritablen Ganztages-Tour werden. Lust darauf hätte ich die allergrößte!

Mit dem Rennrad in Ostfriesland: Ein intensiver Tag am Meer

Ostfriesland: Campen – Pewsum – Marienhafe – Eversmeer – Westerholt – Dornum – Neßmersiel – Norddeich – Greetsiel – Campen (125 km, Ø 26,6km/h, als GPX herunterladen)

“Aufs Rennrad”, rufen die Beine ungeduldig.
“Meinetwegen gern”, nickt gütig das Wetter.
“Ans Meer!”, jubelt die Seele voller Vorfreude.

Die Anreise

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Für gute Touren muss man früh raus!

Und so beginnt wieder einmal eine Fahrradtour mit einer ziemlich weiten Anfahrt in aller Herrgottsfrühe: Bereits viertel nach fünf morgens sitze ich im Auto, das Rennrad im Kofferraum. Nach Emden werden es drei Stunden Fahrt sein, ich will ja auch noch etwas vom Tag haben.

Irgendwo im Emsland gleite ich entspannt und bestens gelaunt dahin – als plötzlich eine Trümmerwolke über die Autobahn schießt. Direkt vor mir passiert ein schlimmer Unfall, der mich hart aus aller Vorfreude reißt. Ich bin zwar Erst-, aber leider nicht mehr Helfer: Für die Unfallopfer kann ich schlicht nichts mehr tun. Konzentriert und erstaunlich ruhig spule ich das restliche Programm ab: Überblick verschaffen, Notruf absetzen, Unfallstelle absichern, andere Helfer koordinieren. Aber es bleibt dabei: Helfen im eigentlichen Sinn kann ich nicht mehr.

Als sie nach anderthalb Stunden alles Nötige erledigt haben, machen mir die zahlreich angerückten Rettungskräfte freundlicherweise eine Gasse frei, und ich setze meine Fahrt gen Norden fort. Hinter mir wird die Autobahn noch bis weit in den Tag hinein voll gesperrt bleiben. Ich überlege kurz, ob ich einfach umkehren und nachhause fahren soll, aber das würde (neben der enttäuschten Vorfreude!) nichts besser machen. Lieber will ich versuchen, einen positiven Konter zu setzen.

Die Tour

Immer noch etwas nachdenklich stelle ich das Auto am Leuchtturm in Campen ab. Das auf der Anfahrt Erlebte lasse ich ganz bewusst beim Auto, nun will ich meine Radtour genießen. Mein Plan ist recht simpel: Im Binnenland nach Osten, auf Höhe Esens nach Norden abbiegen, in Bensersiel das Meer erreichen, und dann entlang der Küstenlinie westwärts zurück zum Ausgangspunkt. Da es durch meine Verspätung inzwischen aber schon zehn Uhr ist, beschließe ich, diese Runde etwas zu verkürzen: Der Tag wird lang werden, und abends muss ich ja auch wieder drei Stunden mit dem Auto nachhause fahren.

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Ostfriesland in a nutshell: Viele Kühe, viele Windräder.

Schicke kleine Gemeinden haben sie in Ostfriesland. Und doch wirkt es an manchen Stellen so, als hätte man die Häuser vor langer Zeit einmal für die Touristen aufgehübscht und seitdem nicht mehr viel daran getan. An anderen Stellen trifft sich friesische Tradition mit moderner Architektur, und so entfaltet sich ein abwechslungsreiches Potpourri für die Augen. Die Beine wiederum erfreuen sich an den meist sehr ordentlichen Radwegen und Straßen, auf denen man kilometerweit ohne Unterbrechung einfach nur fahren kann. Das ist eine wahre Wonne! Kein Vergleich zum engen Ruhrpott, wo man alle Nase lang von Ampeln, Drängelgittern und anderem Ungemach zum Anhalten gezwungen wird.

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Frischer Radweg bei Wirdum: So eben, dass es eine Wonne ist.

Meine erste Pause mache ich nach etwas mehr als 40 Kilometern am Ewigen Meer, einem Hochmoor-See bei Eversmeer. Es ist inzwischen zwölf, und ich verputze als spätes Frühstück meine unterwegs gekauften belegten Brötchen (inzwischen so etwas wie eine Tradition auf meinen Radtouren). Die Beine melden volle Einsatzbereitschaft, auch der Hintern macht keine Mucken. Ich fühle mich gut!
Kurz auf die Karte geschaut: Ja, demnächst müsste ich nach Norden abbiegen, um den grob gesteckten Zeitplan halbwegs einzuhalten. Und so fahre ich nordwärts über Westerholt nach Dornum, auf dieser Strecke ist der vom Meer hereinwehende Wind natürlich recht anstrengend. Aber er soll auf Nordost drehen, ich muss also nur noch die Küste erreichen und werde dann den Rest der Tour Rückenwind genießen können.

Zwischem Neßmersiel und Dornumersiel, nach 65 Kilometern sportlicher Fahrt, erreiche ich die Küstenlinie. Beim nächsten Deichaufgang will ich endlich das Meer begrüßen, schiebe mein Rad auf die Deichkrone hinauf – und bin hin und weg. Urplötzlich riecht es intensiv nach Meer, der Blick wird weit (weiter, als er auf dem flachen Land eh schon war), und fast zum Greifen nahe spannen sich Norderney, Baltrum und Langeoog über den Horizont. Für diesen Anblick, für diesen einen Moment bin ich heute morgen aufgestanden! Fast schon andächtig setze ich mich und lasse mir einige Zeit einfach nur die Meeresbrise um die Nase wehen. Spätestens jetzt habe ich meinen Frieden mit diesem so unglückselig begonnenen Tag wiedergefunden, für einen Wimpernschlag ist die Welt vollkommen im Gleichgewicht.

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Und dann auf einmal: Das Meer.

Aber bei aller Schwärmerei für den Moment: Ich bin ja für den Sport hier, also schwinge ich mich wieder aufs Rad und fahre, ziemlich konstant 30 auf dem Tacho, weiter in Richtung Westen. Wind von hinten, keine Ampeln, keine Kreuzungen, außer immer mal wieder ein paar Radfahrern kein Verkehr, auf ich achten müsste: Ich genieße einen regelrechten “Flow” auf dem Rad.

In Norddeich nehme ich dann etwas Gas raus und radele entspannt zum Fährterminal. Hier starten die Schiffe nach Juist und Norderney, entsprechend viele Menschen sind unterwegs. Direkt am Wasser liegt auch der Bahnhof Norddeich Mole, an dem heute wegen des Lokführer-Streiks aber keine Züge ankommen. Ich hake diesen Punkt auf meiner gedanklichen Liste “was ich auf der Tour sehen will” ab und setze meinen kleinen Temporausch auf zwei Rädern fort.

Als nächstes freue ich mich auf das Sperrwerk Leysiel, das vor Greetsiel wie eine Nase in die Nordsee ragt. Laut Karte führt ein Weg außen auf dieser Nase entlang, das möchte ich mir natürlich gern ansehen. Ein wenig enttäuscht bin ich dann, als vor Ort ebenjener Weg sehr nachdrücklich gesperrt ist – tja, dann eben nicht, fahre ich stattdessen halt mitten durch Greetsiel. Das entpuppt sich aber als recht glückliche Fügung: Auch hier sind mir zwar deutlich zu viele Menschen unterwegs, aber ich kann dennoch den charmanten Flair des friesischen Städtchens genießen. Mit Fritten und einem Matjesbrötchen mache ich am Hafen eine ausgiebige (und ziemlich verspätete) Mittagspause. Ich fühle mich pudelwohl, die Beine haben noch kräftig Körner, und trotz inzwischen 105 gefahrener Kilometer geht es meinem Hintern blendend.

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Greetsiel, ein echtes Kleinod.
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Rückenwind ist Radlers Liebling!

Nach Greetsiel schwenkt die Route noch weiter in südliche Richtung, was den Rückenwind (und damit die Freude am schnellen Radfahren) nur noch verstärkt. Ich gönne mir unterwegs noch den Spaß, einmal den (vor allem durch die Otto-Filme berühmt gewordenen) rot-gelben Pilsumer Leuchtturm aus der Nähe zu betrachten. In dem kann man sogar heiraten!

Die letzten fünfzehn Kilometer bis zu meinem Startpunkt Campen sind dann nur noch allerfeinster Sport. Die Körner in den Beinen haben immer noch kein Ende, lockerflockig halte ich den Tacho konstant über 40 und rausche an allem vorbei, was ebenfalls auf zwei Rädern unterwegs ist. Was, ist das dort hinten wirklich schon der Campener Leuchtturm? Ach schade, das hätte auch gern noch ein, zwei Stündchen so weiter gehen können!

Die Zusammenfassung

All good things come to an end, heißt es so schön, und so muss auch diese in allen Belangen großartige Runde nun wieder enden. Immer noch euphorisch lade ich mein Rad ins Auto, esse und trinke noch eine Kleinigkeit und lasse diesen außergewöhnlichen und äußerst intensiven Tag noch einmal gedanklich an mir vorüberziehen. Die Entscheidung, nach dem schlimmen Erlebnis auf der Anfahrt nicht umzukehren, war absolut richtig. Ich hatte mir nichts vorzuwerfen, hatte getan, was ich konnte, und je länger ich danach auf dem Rad saß, desto klarer wurde mir das. Jeder geradelte Kilometer schuf mehr gesunden Abstand zwischen mir und der Katastrophe, die ich zuvor erlebt hatte.

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Ostfriesland in a nutshell: Um das Watt kümmern sich die Gezeiten, um den Deich die Schafe.

Was das reine Fahrradfahren angeht, hat der Tag nur Bestnoten verdient. Vermutlich war das schlicht die schönste Tour, die ich je gefahren bin. Das flache, weite Land ist wie geschaffen für Ausdauersport auf dem Rennrad, die Fahrtrichtung hatte ich anhand der Windprognosen geschickt gewählt, das Wetter spielte einen perfekte Mix aus Sonne und Wolken ab, und die Straßen und Wege auf meiner Route sind bis auf wenige Ausnahmen allerbestens auch fürs knüppelharte Rennrad geeignet.

Danke, Ostfriesland – das hat mir richtig gut getan!