Rennrad-Tour in Ostfriesland: Friesisch sportlich

Ostfriesland: Bensersiel – Esens – Blomberg – Eversmeer – Rechtupsweg – Marienhafe – Wirdum – Greetsiel – Norddeich – Dornumersiel – Bensersiel (122 km, Ø 26 km/h, als GPX herunterladen)

In den Bergen ist es schön, keine Frage. An Seen und Flüssen sowieso. Manchmal habe ich auch große Lust auf urbane Abenteuer direkt vor der Haustür. Und doch ist es besonders die schier endlose Weite des Meeres, die mich immer wieder einfängt und nicht loslässt. Und so zieht es mich auf der Suche nach der kleinen großen Freiheit auch dieses Jahr wieder nach Ostfriesland, wo ich meinen eigenen Spuren folgen will: Im letzten Jahr hatte ich dort eine überaus eindrückliche Tour auf dem Rennrad erlebt.

Neben einer Landstraße verläuft ein neu gebauter, ebener Radweg.
Frisch asphaltierter Radweg bei Esens: Des Rennradlers wahrer Himmel!

Zumindest bezüglich der Streckenlänge plane ich, im Vergleich zum Vorjahr noch eine Schippe draufzulegen. Ob ich wohl 140 Kilometer schaffe? Die Route ist schnell zusammengeklickt, dieses Jahr der Windprognosen wegen aber im Uhrzeigersinn. Damit meine Fahrt wieder an der Küstenlinie endet, lege ich mit Bensersiel den nordöstlichen Zipfel der Runde als Start- und Zielpunkt fest.

Die Anreise verläuft, im Gegensatz zum Vorjahr, sehr unspektakulär. Voller Vorfreude auf den Tag stelle ich das Auto in Bensersiel ab – und schaue gleich erst einmal dumm aus der Wäsche, denn der Parkscheinautomat will Kleingeld oder eine bestimmte Art von Geldkarte. Habe ich beides nicht dabei, und meinen Fuffi kann ich ihm mangels Schein-Slots nicht verfüttern. Na toll, also gleich mal Zeit verplempern, um irgendwo Kleingeld einzutauschen? Ich quatsche zwei junge Frauen an, die gerade längslaufen. Münzgeld haben sie auch nicht dabei, ziehen mir mit ihrer Geldkarte aber ohne mit der Wimper zu zucken einen Parkschein, lehnen jedwede Rückzahlung entschieden ab (”das möchten wir dir schenken”) und wünschen mir einen schönen Tag auf dem Rad. Na gut, den werde ich haben, allerbesten Dank! :)

Eine gut erhaltene alte Windmühle auf dem flachen Land, daneben eine große Birke
Kurze Trinkpause an der Tjaden-Mühle in Südcoldinne

Ich starte in südlicher Richtung und durchquere das schnuckelige Städtchen Esens. Etwa bei Dunum biege ich dann nach Westen ab, mein nächstes Ziel soll Eversmeer sein. Weil der Renner herrlich flott rollt und ich mehr Lust auf Sport als auf Tourismus habe, beschließe ich, das Kucken und Staunen heute mal zurückzustellen und stattdessen einfach richtig Kette zu geben.
So lasse ich dann auch das Ewige Meer ohne Zwischenstopp links liegen (war ja schließlich letztes Jahr schon dort) und bin ab da auch auf bekannten Pfaden unterwegs, diesmal halt in die Gegenrichtung. Und quasi traditionell beschaffe ich mir auch dieses Jahr mein Frühstück wieder in Marienhafe, selbstverständlich belegte Brötchen. Die will ich aber nicht sofort essen, sondern bis zum nächsten wirklich schönen Fleckchen mitnehmen. Großen Hunger habe eh noch nicht, obwohl ich zuhause nur fix eine Schüssel Müsli veratmet habe und inzwischen schon deutlich über vierzig Kilometer gefahren bin.

Dann erreiche ich Wirdum. Von hier aus wollte ich eigentlich noch bis Pewsum fahren, um dann in Campen die Küste zu erreichen. Leider biege ich dann aber falsch ab und stelle erst viel zu spät fest, dass ich nach Süden statt nach Westen unterwegs bin. Mist, und zu allem Überfluss werden die Wege nun auch immer schmaler und rumpeliger, die sind ganz sicher nicht mehr fürs Rennrad geeignet. Das alles kostet mich einiges an Zeit und Kraft, und so beschließe ich, den eigentlich geplanten “Schlenker” über Campen wegzulassen. Direkter Weg nach Greetsiel, schließlich darf ich wegen des langen Heimwegs ja auch nicht allzu spät wieder beim Auto sein!

Ein schmal zulaufendes Hafenbecken, links und rechts sind Fischkutter festgemacht.
Hafen Greetsiel: Schön hier, aber heute habe ich nicht viel Zeit zum Genießen.

In Greetsiel komme ich dann ziemlich kaputt an. Schon siebzig Kilometer gefahren, noch nix gegessen, und irgendwie gehen mir ein wenig die Körner aus. Ich brauche dringend eine Pause! Wie schon im Vorjahr setze ich mich am Hafen auf eine Bank, beiße herzhaft ins Brötchen und hole ein wenig Luft. Aber allzu lang kann und will ich nicht rasten, und so sitze ich nach einer Viertelstunde schon wieder im Sattel. Von nun an wirds leichter dank des Rückenwinds, denke ich noch – und stelle fest, dass ich beim Umfahren der Leybucht nun doch noch einmal in nordwestlicher Richtung, also genau gegen den Wind unterwegs bin. Das wird ein echter Kampf, denn so richtig regeniert habe ich mich in Greetsiel nicht.

Ein Rennrad am Watt. Weit draußen fahren die Fahrgastschiffe zu den Ostfriesischen Inseln.
Zwangspause, weil die Beine krampfen. Bezaubernd ist die Aussicht trotzdem!

Erst östlich von Norddeich dreht sich die Küstenlinie dann so weit nach Osten, dass der Wind schön zu schieben beginnt. Allerdings fangen nun – nach inzwischen neunzig Kilometern – die Oberschenkel zu krampfen an. Ich muss kurz pausieren und denke schon ernsthaft über einen Plan B nach, setze mich dann aber doch wieder aufs Rad und fahre einfach weiter. Die letzten dreißig Kilometer will ich nun auch noch schaffen!
Und tatsächlich, mit Hilfe des Rückenwinds finde ich zurück in den Flow und jage mit konstant 35 Sachen am Deich entlang. Jetzt machts wieder Spaß! Und als ich dann schließlich Dornumersiel passiere, gibts auch moralisch nochmal die letzte Luft: Nur noch acht Kilometer bis zum Ziel!

Kaputt, aber sehr glücklich, komme ich schließlich wieder am Ausgangspunkt meiner Tour an. War das eine sportliches Brett! Natürlich ist die Tour emotional nicht mit der des Vorjahres vergleichbar, allein schon wegen der aufwühlenden Anreise damals. Es fehlte dieses Mal aber auch das Überraschungsmoment am Deich: Ich wusste einfach schon sehr genau, was mich erwartet, und wurde nicht wieder so aus den Socken gehauen von Land, Meer und der Weite.

Überhaupt war ich dieses Jahr auch mehr auf den Sport fokussiert als auf die Landschaft. Dass ich dann mich in Wirdum so vergurkt und deswegen recht ordentlich Zeit (und damit Strecke!) verplempert habe, hat den Muss-mich-Beeilen-Faktor dieser Tour nur noch erhöht. Und die ziemlich anstrengenden Teilstücke gegen den Wind sowie das körperliche Zwischentief mit den Krämpfen haben schließlich dafür gesorgt, dass ich bisweilen mehr mit mir beschäftigt war als mit meiner Umgebung.

Für diesen Kampf gegen mich selbst blieben Ostfriesland und der Nordsee leider nur die Rolle der (wenngleich bezaubernd schönen!) Kulisse. Und doch hatte ich auch diesmal wieder ein paar dieser Momente, in denen ich für einen Augenblick nur fassungslos in die Weite starrte: Was ist es doch magisch schön am Meer!